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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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traten in den Bach hinein. Cerdic, seine Söhne und der Edelmann aus Kent, die ja schon Christen waren, sahen zu und waren stolz, sich bereits dieser Pflicht unterzogen zu haben. Schließlich fiel Cerdics strenger Blick auch auf Elfgiva.
    Diese war sich nicht sicher, was sie tun sollte, denn trotz ihrer Vorbehalte war auch sie zutiefst bewegt von den Worten der Predigt, die, ohne daß der Bischof dies wußte, direkt an ihr Herz gerührt hatten. Gab es wirklich eine Hoffnung, die größer war als diejenige, die die strengen, nüchternen Gottheiten ihrer nordischen Vorväter ihr anboten? War es wirklich möglich, daß das große Schicksal auch mit Liebe erfüllt war? Wenn Cerdic sie jetzt nicht beobachtet hätte, wäre sie vielleicht tatsächlich mit den übrigen vorgetreten. Doch seine Augen waren so hart und unnachgiebig wie immer. Sie zögerte. Er will doch nur, daß ich mich unterwerfe, dachte sie.
    Bischof Mellitus sah ihr Zögern, sah das grimmige Gesicht ihres Mannes und erinnerte sich an die unglückliche Szene, die er vor ein paar Wochen zwischen ihnen beobachtet hatte. Er trat neben sie und rief auch Cerdic zu sich. »Wollt Ihr getauft werden?« fragte er Elfgiva behutsam.
    »Mein Mann will es.«
    Mellitus wandte sich an Cerdic. »Ich werde Eure Frau taufen, wenn sie es will, eher nicht.« Und mit großer Bestimmtheit fügte er hinzu: »Ihr müßt christliche Nächstenliebe zeigen, Cerdic. Dann wird sie Euch gerne gehorchen.«
    Cerdic bat Mellitus, noch einen Tag in Lundenwic zu bleiben, doch der Bischof wollte so rasch wie möglich weiterziehen. Bald darauf ritt er mit seinem Gefolge durch das Osttor zur Stadt hinaus, und Cerdic und sein Haushalt machten sich wieder auf den Heimweg nach Lundenwic.
    Nach den bewegenden Worten des Predigers wird sich der Herr sicher noch heute nacht mit der Herrin versöhnen, dachte Offa. Doch er sah, daß Cerdic sich wieder zu einer der Hütten aufmachte und Elfgiva allein ließ. Spät nachts, als er in Ricohs Armen lag, murmelte Offa: »Ich dachte eben über den Herrn und die Herrin nach. Es ist wirklich eine Schande! Wenn wir nur etwas dagegen tun könnten!«
    »Meinst du das, was ich neulich vorgeschlagen habe?«
    »Ich weiß nicht, aber irgend etwas sollten wir tun.«
    Damit schlief er ein, doch Ricola lag noch lange wach und dachte nach.
    Zwei Tage nach Mellitus' Besuch war der kürzeste Tag des Jahres, und auf diesen Tag fiel der wichtigste Feiertag der Yule-Festlichkeiten. Graue Wolken kamen vom Westen und legten sich auf den Fluß wie eine Decke. Als die Männer in der Halle die Tischgestelle aufbauten und das Feuer herrichteten, waren sich alle einig, daß es wohl noch vor dem Ende des Festes einen Schneesturm geben würde, und tatsächlich hatte sich der Himmel im Westen orangerot gefärbt, was baldigen Schneefall verkündete.
    Ricola buk Brot und Haferkekse und half den zwei Frauen, die die großen Spieße mit Wildbret über dem Feuer drehten. Ihr Plan ging ihr nicht aus dem Kopf. »Ich habe sie beobachtet«, hatte sie Offa erklärt. »Sie kann sich einfach nicht entscheiden. Sie will nachgeben, aber sie hat so große Angst, ihn abermals zu verlieren, daß sie sich nicht dazu überwinden kann, den ersten Schritt zu machen. Und er macht ihn auch nicht, weil – weil er ein Mann ist. Sie braucht nur einen kleinen Schubs, mehr nicht. Und wir werden ihr diesen Schubs geben!«
    Am Festmahl nahmen etwa ein Dutzend Gäste teil. In der Halle brannten viele Lampen. Der lange Tisch war voll besetzt. Selbst die im Haushalt arbeitenden Sklaven – Offa, Ricola und vier weitere – durften sich dazugesellen. Überall zeigten sich fröhliche, vom Ale erhitzte Gesichter. Als das Licht schwächer wurde, fielen die ersten Schneeflocken und legten sich wie ein Puderzuckerguß auf das Strohdach.
    Offa war sehr aufgeregt. Tat seine Frau das Richtige? Ihr Plan erschien ihm schrecklich gefährlich, auch wenn Ricola immer wieder versuchte, ihn zu beruhigen. »Sie ist meine Freundin. Sie wird mir nicht böse sein. Was wird aus uns, wenn wir nichts tun und die Herrin weggeschickt wird? Entweder wir werden zusammen mit ihr weggeschickt, oder es passiert uns noch viel Schlimmeres.«
    Als ihm nun von dem deftigen Wildgericht und dem dicken, würzigen Ale angenehm warm wurde, begann er allmählich zu glauben, daß Ricola vielleicht doch recht hatte. Wenn ihr Plan funktionierte, dann war alles gut; wenn er nicht funktionierte, würde dies auch keinen weiteren Schaden anrichten. Er griff nach

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