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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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Ausflug heimkehrte, kam gerade neue Ware am Handelsstützpunkt an.
    Es waren sechs Sklaven. Ein unwirscher, garstiger Händler trieb sie vor sich her. Cerdic begrüßte ihn mit den Worten: »Ihr kommt ziemlich spät!«
    Die schlanken, dunkelhaarigen Männer waren mit einem Seil aneinandergefesselt. Ihr kurzgeschorenes Haar und ihre Niedergeschlagenheit ließen ihre mißliche Lage deutlich erkennen. »Der König von Nordhumbrien ist letztes Jahr bei den Schotten eingefallen«, erklärte der Händler grinsend. »Das sind Kriegsgefangene. Ich hatte etwa hundert von ihnen, als ich aufbrach. Das ist alles, was übriggeblieben ist. Seht sie Euch an.«
    Cerdic musterte sie gründlich. »Sie scheinen in Ordnung zu sein«, sagte er schließlich. »Aber wahrscheinlich werde ich sie den ganzen Winter lang durchfüttern müssen. Die Sklaventransporte fangen meist erst wieder im Frühjahr an. Und wenn erst einmal Schnee liegt, gibt es hier nicht sehr viel für sie zu tun.«
    »Das ist wohl wahr. Also, was zahlt Ihr für sie?«
    Offa sah, wie die beiden Männer in die Halle gingen, und es dauerte nicht lange, da ritt der Händler wieder weg. Die sechs Burschen wurden in die Sklavenhütte verfrachtet und jede Nacht angekettet. Tagsüber bewegten sie sich frei und wurden gelegentlich zu kleineren Arbeiten abkommandiert.
    Es dauerte einen ganzen Tag, bis Wistans Verschwinden bemerkt wurde. Er hatte einem seiner Brüder gesagt, daß er jagen wolle, aber als er abends nicht heimkehrte, begann Elfgiva, sich Sorgen zu machen. Cerdic war gelassener. »Es geht sicher um ein Mädchen«, sagte er nur. Als eine weitere Nacht verstrichen war, meinte er grimmig: »Dafür schuldet er mir eine Erklärung!« Ein weiterer Tag und eine weitere Nacht verstrichen, ohne daß jemand von Wistan hörte.
    Wistan war früh aufgestanden. Im ersten Morgengrauen war er in Thorney gewesen und hatte bei Ebbe den Fluß überquert. Sein Weg führte ihn ein Stück nach Süden, dann wandte er sich ostwärts und ritt mehr oder weniger am Fluß entlang.
    Es war ein klarer, kalter Tag. Während er so durch die Sumpfgebiete und Eichenwälder ritt, sah er auf der anderen Seite des Flusses die Ruinen der verlassenen Stadt auftauchen. Allmählich wurde die Gegend immer hügeliger, und schließlich ritt er auf einer Hügelkette, die immer weiter anstieg. Er hatte einen phantastischen Blick auf den glitzernden Fluß, der sich in langen Biegungen hin zu seiner Mündung wand. Am Fuß des Abhangs unter ihm lag ein winziger Weiler namens Greenwich am Flußufer. Schließlich wurde die Hügelkette immer breiter, und die lichten Eichenwälder wichen einer großen Heidefläche. Wistan folgte dem harten, mit dürren Gräsern bewachsenen Weg, der früher einmal eine mit Schotter bedeckte Römerstraße war und der ihn am Nachmittag des folgenden Tages nach Rochester führen würde. Er wollte mit der Braut seines Vaters sprechen.
    Er kannte ihre Familie, hatte sie selbst jedoch seit mehreren Jahren nicht mehr gesehen. Als ich sie zum letztenmal sah, dachte er, war sie ein dünnes Kind, genau wie ich. Kaum zu glauben, daß sein Vater sie nun heiraten wollte.
    Er übernachtete in Bocton und traf schließlich am späten Vormittag dort ein, wo das Mädchen lebte. Er ging jedoch nicht in das Haus hinein, sondern versteckte sich hinter ein paar Bäumen und wartete, bis es aus dem Haus trat und einen Pfad entlangging, der an seinem Versteck vorbeiführte. Als es näher kam, erkannte er es kaum, denn anstelle des dünnen, kleinen Mädchens sah er nun eine hübsche, junge Frau mit klaren, blauen Augen und blonden Haaren, die sie in einem Knoten zusammengebunden hatte. Als sie ihm nahe genug war, rief er leise ihren Namen. »Edith!«
    Unerschrocken, wenn auch überrascht, sah sie den jungen Burschen an, der da in ihren Weg getreten war. »Kenne ich Euch nicht? Ihr seid doch Wistan!« sagte sie lächelnd. Er nickte nur. »Was führt Euch denn zu uns?«
    »Versprecht Ihr mir, daß Ihr niemandem verratet, daß ich hierhergekommen bin?« fragte er.
    »Ich weiß nicht – mal sehen, vielleicht ja.«
    »Ich bin hier…« Er holte tief Luft, denn plötzlich wurde ihm bewußt, welche Tragweite sein Tun haben konnte. »Ich bin hierhergekommen, um Euch zu sagen, daß wir Euch nicht haben wollen.«
    Sie unterhielten sich fast eine ganze Stunde lang. Zu seiner Erleichterung wurde sie nicht böse. »So seid Ihr also gekommen, um Eure Mutter zu retten?« faßte sie schließlich das Gespräch zusammen. »Und

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