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London

London

Titel: London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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auch den gefangenen Sklaven befohlen zu kommen. Sie standen gefesselt am hinteren Rand der Menge. »Wenn Ihr durch Eure Predigt auch nur eine einzige Seele rettet, dann habt Ihr Gutes getan«, pflegte der Bischof seinen Priestern zu sagen, und als er nun auf diese einfachen Leute herunterblickte, fragte er sich, welche dieser Seelen wohl heute gerettet werden würde.
    Der Gottesdienst dauerte nicht sehr lange. Die zehn Priester sangen Psalmen in Lateinisch. Dann begann der Bischof, sich in Angelsächsisch an die kleine Schar zu wenden. Offa war beeindruckt, wie gut der Mann die Sprache beherrschte. Dieser sonderbare Priester hat sicher die Dichter studiert, die dem König ihre Weisen vortragen, dachte Offa. Das angelsächsische Englisch war eine extrem reiche Sprache. Die Vokale konnten auf viele unterschiedliche Arten miteinander verbunden werden und verliehen dadurch der Sprache ganz subtile Schwankungen und echoartige Tone. Ihre germanischen Konsonanten konnten deklamiert oder geflüstert werden, sie konnten krachend oder knirschend klingen. Es war die Sprache der nordischen Sagen und der Männer, die am Meer, an den Flüssen und in den Wäldern lebten. Wenn die Dichter ihre Lieder sangen, konnten die Zuhörer fast das Schwingen der Äxte fühlen, die Helden fallen sehen, die Hirsche im Dickicht erahnen oder das Singen der Schwanenflügel über dem Wasser hören.
    Der Priester beherrschte diese ausdrucksvolle Sprache wirklich meisterhaft. Er sprach von der Ankunft des Herrn auf der Erde, von diesem Gott, der offenbar der Menschheit die Pforte zum Eintritt in den Himmel öffnete. Und zwar allen Menschen, nicht nur den Helden, die auf dem Schlachtfeld fielen, nicht nur den Königen und Edelmännern, sondern auch den Armen, den Frauen und den Kindern, ja sogar den Sklaven, wie Offa nun staunend erfuhr.
    Und wer war dieser Gott? Er war ein Held, wie Freyr, der freundliche junge Gott des Friedens und der Fruchtbarkeit, der von den Angelsachsen sehr geliebt wurde, aber sogar noch stärker als dieser, wie Mellitus erklärte. Er wurde mitten im Winter geboren, doch seine Geburt versprach einen kommenden neuen Frühling, ein zukünftiges ewiges Leben. »Als Freyr der Menschen ist dieser junge Held Gott der Allmächtige. Er wäscht unsere Sünden fort mit Wasser, mit dem Wasser des Lebens.« Dieser Freyr, den sie Christus nannten, war an einem Kreuz geopfert worden. »Er ist für uns am Kreuz gestorben, doch er ist wiederauferstanden«, rief der Priester eben laut. »Er opferte sich für unsere Sünden und schenkte uns damit das ewige Leben.« Wie wunderbar dies alles klingt, dachte Offa, aber warum wurde dieser Gott denn ans Kreuz genagelt? Offa war es nicht ganz klar, aber offensichtlich hatte sich dieser junge Gott für sie alle geopfert. Zum erstenmal in seinem Leben spürte Offa, daß das Schicksal, dieses grimmige, unbegreifliche wyrd, vielleicht auch etwas Tröstliches, etwas Glücksbringendes haben konnte. Und dieser Gedanke stimmte ihn so froh, daß er zu zittern begann.
    Und wenn Christus – wie der Bischof an diesem Tag verkündete – sein Leben für die Menschen hingab, wie viel bereiter sollten dann erst die Menschen sein, sich zu opfern, sich miteinander zu versöhnen, um ihm würdig zu sein. »Bei uns gibt es keinen Raum für Bosheiten, Trotz, böse Absichten«, erklärte der Bischof. »Wenn ihr mit euren Nachbarn, mit eurem Diener oder eurer Frau im Streit liegt, geht hin und versöhnt euch. Vergebt ihnen und bittet auch sie um Vergebung. Seid bereit, eure Wünsche zu opfern. Denn der Herr hat uns versprochen, daß er uns schützen wird, daß er uns selbst durch die Dunkelheit des Todes geleiten wird, solange wir an ihn glauben.«
    Eine Weile war die kleine Schar völlig ruhig und wie verzaubert. Dann erhob sich ein leises Murmeln, fast wie ein Seufzen. Der römische Priester hatte es geschafft, zu ihnen durchzudringen. Offa starrte verwundert um sich. Diese Worte von Versöhnung und Vergebung, bezogen sie sich nicht direkt auf Cerdic und seine Frau? Und das übrige, das Versprechen auf ein Paradies, die Forderung nach einem Opfer, schien geradewegs an ihn gerichtet zu sein.
    Nun führte der Bischof seine Gemeinde zur Taufe, die diesmal in dem kleinen Bach zwischen den zwei Hügeln der Stadt stattfinden sollte. Alle wurden aufgefordert vorzutreten, und unter Cerdics strengem Blick folgte der gesamte Haushalt dieser Aufforderung. Offa und Ricola und selbst die ziemlich verwirrten Sklaven aus dem Norden

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