London
es diesem die Sprache verschlug. Doch Wistan ließ sich nicht von seinem Vorhaben abbringen. »Vater, ich muß mit Euch reden! Es ist wegen Mutter. Ihr dürft sie nicht so behandeln!«
Cerdic funkelte seinen Sohn ärgerlich an. »Das geht nur uns etwas an, dich überhaupt nichts, also halt den Mund!«
»Nein, Vater, das kann ich nicht.«
»Das kannst du wohl, und du wirst es auch tun. Aus dem Weg!« Er stieß Wistan beiseite und stampfte wütend davon. Zwar mußte er insgeheim zugeben, daß der Junge noch immer der Beste von allen war, doch seine Meinung zu Elfgiva änderte sich deshalb nicht.
Vier Tage später kehrte der Pferdeknecht, den Cerdic nach Kent geschickt hatte, mit einer Antwort zurück. Cerdics neue Braut würde ihm in Bocton übergeben werden, und zwar zwei Wochen nach dem Yule-Fest, das in der Mitte des Winters gefeiert wurde.
Cerdic und Elfgiva waren bislang immer eine ganze Weile vor den von den Sachsen mit großem Aufwand begangenen Yule-Festlichkeiten nach Bocton zurückgekehrt, doch nun, als Cerdic die Nachricht empfing, meinte er nur: »Ich werde Yule hier in Lundenwic feiern und den Rest des Winters in Bocton verbringen.« Dies war ein deutliches Zeichen. Die alte Herrschaft sollte zu Ende gehen, eine neue sollte beginnen.
Elfgiva blieb noch da. Da Cerdic sie noch nicht offiziell weggeschickt hatte, war sie noch immer seine Frau. Alle fragten sich, wann sie wohl gehen würde, aber sie hatte noch nicht entschieden, was sie tun sollte. Sie hatte einen Bruder in Ostanglien, aber sie hatte ihn seit Jahren nicht mehr gesehen. In einem Dorf in der Nähe des Ortes, in dem sie aufgewachsen war, gab es auch noch ein paar weit entfernte Verwandte. Ob sie dorthin gehen sollte? Eine merkwürdige Trägheit befiel sie. Ich werde mich vor dem Yule-Fest entscheiden, sagte sie sich.
In der Zwischenzeit blieb sie untätig. Und auch Cerdic sagte nichts. Sie wußte nicht, ob oder wie er weiter für sie sorgen wollte. Er ignorierte sie einfach mehr oder weniger.
Ricola war in dieser Zeit oft bei ihrer Herrin. Zwar war Elfgiva meist sehr zurückhaltend, doch manchmal ließ sie sich in ihrer Einsamkeit auch dazu herab, sich der jungen Sklavin anzuvertrauen. Einmal gestand sie ihr, daß sie sich noch nicht entschlossen habe, wohin sie gehen solle. Ricola fragte sie vorsichtig: »Wenn der Herr will, daß Ihr geht, Lady Elfgiva, warum hat er dann noch keine Vorkehrungen getroffen?«
»Ganz einfach«, erklärte Elfgiva mit traurigem Lächeln, »mein Mann ist ein vorsichtiger Händler. Er wird sich erst von mir trennen, wenn er sich des neuen Mädchens sicher ist, vorher nicht.«
Diese Unsicherheit brachte auch ein Problem mit sich, das Offa eines Nachts mit Ricola besprach. »Was wird wohl mit uns passieren, wenn sie weggeschickt wird? Sie hat uns schließlich hierher gebracht. Heißt das, daß wir mit ihr gehen werden?«
»Das hoffe ich!« erwiderte Ricola heftig. »Sie hat mir das Leben gerettet! Willst du denn nicht bei ihr bleiben?«
Offa wußte es nicht. Wohin würde Elfgiva sie bringen? Er wollte auf keinen Fall zurück in die dunklen Wälder von Essex. Dann dachte er an das fruchtbare Themsetal und an die leere Stadt mit ihrem Goldschatz. »Ich weiß es nicht, ich weiß überhaupt nichts«, meinte er schließlich.
Zwei Dinge besprach Ricola mit keiner Menschenseele. Das eine hatte mit dem Händler zu tun. Kaum eine Woche nach der Taufe seiner Söhne hatte er begonnen, ein Auge auf Ricola zu werfen. Angefangen hatte es, als sie einmal, aus dem Haupthaus kommend, an ihm vorbeiging, als er gerade vom Fluß heraufkam, und er hatte sie eingehend gemustert. Es überraschte sie nicht. Sie wußte, daß sie eine sinnliche Ausstrahlung besaß. Er hat seit einer Woche keine Frau gehabt, dachte sie nur. Als es am nächsten Tag noch einmal passierte, machte sie sich auch noch keine großen Sorgen. Sie beschloß nur, ihm aus dem Weg zu gehen und Offa nichts davon zu sagen.
Das zweite Ereignis war erfreulicher. Am Ende von Blodmonath merkte sie, daß sie schwanger war. Aber ich warte noch einen Monat, um ganz sicher zu sein, dachte sie zufrieden, auch wenn sie sich ein wenig bang fragte, wo und wie sie wohl leben würden, wenn das Kind zur Welt kam.
In der Zwischenzeit gelang es Offa, immer wieder einmal in die leere Stadt zu schleichen, wo er mit einem kleinen Pickel und einer Schaufel, die er sich gebastelt hatte, an Orten grub, die ihm vielversprechend erschienen. Als er eines Abends von so einem heimlichen
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