London
nächsten Morgen verkündete sie Cerdic: »Ich werde Eurem neuen Gott folgen. Sagt Eurem Priester, daß er mich taufen kann. Aber die Sklavin muß weg!«
Er umarmte sie froh. »Wie immer Ihr es wünscht. Schließlich gehört sie Euch.«
Und noch etwas war in den langen Stunden dieser Winternacht passiert: Ein Besucher war nach Lundenwic gekommen. Im ersten Morgengrauen hatte ein Langboot die hereinströmende Flut genutzt und sich die lange Themsemündung hinaufgestohlen. Nun bog es an diesem trüben, feuchten Tag in die große, flußabwärts von der Siedlung gelegene Biegung ein.
Als dieses flache, seetüchtige Gefährt sich der Anlegestelle von Lundenwic näherte, blickte der kleine, kräftige Mann, der vorne am Bug stand, erwartungsvoll zu dem Handelsstützpunkt hinüber. Er war Mitte Vierzig und hatte ein ziemlich grobschlächtiges Gesicht mit einem graugesprenkelten Bart, den er immer sehr kurz stutzte. Von allen friesischen Händlern war er der einzige, der in dieser trüben, gefährlichen Jahreszeit die Reise zur Insel wagte. Er war furchtlos, gewitzt und gierig. Er kaufte seine Ware immer billig ein, weil er den Besitzern die Kosten für Unterkunft und Verpflegung in den Wintermonaten ersparte, und meist war er der einzige, der Waren liefern konnte, die dringend vor dem nächsten Frühling benötigt wurden. Er handelte mit Menschen. Jeder wußte es an der nordeuropäischen Küste: »Der verschlagene Friese ist der einzige, der Wintersklaven liefern kann.« Mittags kam er in Lundenwic an.
Als Cerdic das Friesenschiff sah, lächelte er. »Ich wußte, daß er noch kommen würde«, bemerkte er zu seinem Vorarbeiter.
»Ihr habt also damit gerechnet!« erwiderte dieser grinsend.
Als Cerdic einen Preis für die Sklaven aus dem Norden ausgehandelt hatte, ließ er den Händler im Glauben, daß er die Unkosten für ihre Unterkunft im Winter tragen mußte, und bekam einen viel besseren Preis. »Ich habe nie gesagt, daß ich sie nicht vor dem nächsten Frühjahr verkaufen kann«, sagte Cerdic. »Ich habe nur gesagt, daß der Sklavenhandel gewöhnlich erst im Frühjahr wieder anläuft.«
Es dauerte kaum eine Stunde, bis der Friese die Sklaven aus dem Norden begutachtet und einen anständigen Preis vereinbart hatte. Auch die zwei zusätzlichen Sklaven, die Cerdic ihm als Ausdruck seines Wohlwollens zu einem günstigen Preis anbot, nahm er gerne. »Ich will sie loswerden«, erklärte Cerdic. »Aber Euch werden sie sicher keinen Ärger machen.«
»Gekauft«, sagte der Friese, legte sie in Ketten und schickte sie zu den übrigen.
Einen kleinen Ärger gab es dennoch. Bei Sonnenuntergang fing das Mädchen zu schreien an, daß es mit seiner Herrin sprechen wolle. Aber offenbar wollte die Herrin nicht mit ihm sprechen, also peitschte der Sklavenhändler es kurz aus, um es zum Schweigen zu bringen, und gesellte sich dann zu Cerdic in die Halle. Am nächsten Tag wollte er bei Ebbe wieder davonsegeln.
Im angelsächsischen Kalender hieß die längste Nacht des Jahres Modranecht – die Nacht der Mutter.
Cerdic und seine Frau hatten lange nicht mehr miteinander geschlafen. Als sie es nun taten, kam es dem Händler vor, als sei er endlich wieder zu Hause, und Elfgiva schien es, als habe sich in den Tiefen dieser langen Nacht etwas in ihr geöffnet, etwas Wunderbares, Geheimnisvolles.
Am nächsten Morgen war das Schiff bereit zum Aufbruch. Es war ein nordisches Langboot mit einem aufsteigenden Bug und einem breiten Rumpf, in dessen Mitte die Sklaven sitzen und sich ausstrecken konnten, auch wenn ihnen zur Sicherheit Fußfesseln angelegt wurden.
In Ricolas Kopf jagten sich noch immer die Gedanken. Die ganze Nacht hatte sie sich schlaflos in der Sklavenhütte herumgewälzt und auf Rettung gehofft. Sie hatte versucht, mit Elfgiva zu reden. Nur wenige Augenblicke, mehr brauchte sie nicht, und sie hätte ihr alles erklären können. Doch seit Cerdics Männer gekommen und sie und Offa abgeholt hatten, war es, als ob ihre Herrin wie vom Erdboden verschluckt sei. Für Elfgiva und ihren Mann hatten die beiden Sklaven einfach zu existieren aufgehört. Als Ricola versuchte, den Leuten vor der Sklavenhütte ihre Nachricht zuzuschreien, hatte der Friese sie ausgepeitscht. Danach kam niemand mehr zur Hütte. Ricola nahm an, daß sie absichtlich isoliert wurden. Elfgiva oder ihr Mann mußten den Befehl dazu gegeben haben. Niemand näherte sich ihr oder Offa.
Wenn sie ihrer Herrin wenigstens sagen könnte, daß sie schwanger war! Als Frau
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