London
dem Holzkrug und nahm noch einen tiefen Schluck.
Auch der Herr ließ sich Speisen und Getränke schmecken. Er schien zufrieden, wenn auch nicht völlig entspannt. Elfgiva, die eine schmale, goldene Halskette trug und genau so schön aussah wie die jüngeren Frauen in der Halle, bot ihren Gästen anmutig Met und Ale an. Alle dankten ihr und erhoben immer wieder ihre Krüge, um dem Gastgeber zuzutrinken und ihm ihre Freundschaft und Treue zu versichern.
Offa bemerkte, daß Cerdic, dem der warme Met zu Kopfe gestiegen war, immer wieder zu Elfgiva hinüberblickte. Wenn sie seine Blicke nur erwidern würde! Wenn sie doch nur heute nacht nachgeben würde, dann würde Ricohs Verwirrspiel unnötig sein! Doch Elfgiva wich Cerdics Blicken aus, und sein Gesicht verfinsterte sich wieder.
Gegen Ende des Festes traten die Gäste immer wieder einmal an die frische Luft, und auch Cerdic ging nach draußen. Ricola und Offa schlüpften unbemerkt hinter ihm her.
Als Cerdic eben wieder in die Halle zurückkehren wollte, sah er Ricola allein vor dem Eingang zu ihrer Hütte stehen. Das schwache Licht einer in der Hütte brennenden Lampe ließ ihre Konturen in der Dunkelheit erkennen und verlieh ihrem kurzen, hellen Haar einen besonderen Glanz. Hübsches kleines Ding, dachte der Händler. Der Wollschal, den sie sich um die Schultern gelegt hatte, war heruntergerutscht und ließ den Ansatz ihrer Brüste erkennen. Cerdic blieb stehen. »Wo ist dein Mann?«
Sie lächelte ihn an und nickte zur Hütte hin. »Er schläft seinen Rausch aus.«
Er grinste. »Dann bist du heute nacht ganz allein?«
»Sieht so aus.«
Er blickte sie nachdenklich an. In ihm regte sich etwas. Andere Männer schliefen in dieser Nacht mit ihren Frauen, doch der Herr des Hauses würde alleine schlafen. Warum eigentlich?
Ricolas Plan war einfach genug. »Wir müssen nur dafür sorgen, daß sie sieht, daß er mir nachsteigt, mehr nicht«, hatte sie Offa erklärt.
»Dann wird sie dir die Schuld geben«, hatte Offa protestiert.
»Nein. Er will eine Frau, und das weiß sie auch. Ich werde verängstigt wirken, weil er doch der Herr ist und ich nicht weiß, was ich tun soll. Du holst sie einfach. Sag ihr, daß ich dich geschickt habe, weil ich Hilfe brauche.«
»Sie wird auf ihn sauer sein.«
»Vielleicht. Aber er ist noch immer ihr Mann. Sie wird es nicht zulassen, daß er vor ihren Augen mit ihrer Sklavin schläft. Sie wird dem Ganzen rasch ein Ende setzen, und dann wird sie sich entscheiden müssen: Entweder sie nimmt ihn, oder er holt sich eine andere Frau. Schließlich wäre sie doch nicht mehr hier, falls sie ihn wirklich aufgeben wollte.« Dies war der Plan. Der kleine Schubs, den Elfgiva brauchte.
Offa hatte sich in der Scheune versteckt und starrte über den Hof hinweg auf seine Hütte. Er sah die beiden vom schwachen Licht beschienenen Gestalten deutlich genug. Ricola spielte ihre Rolle gut; sie lachte gerade über etwas, was der Herr sagte, und warf dabei den Kopf zurück; sie lockte ihn, ohne ihn tatsächlich zu provozieren. Offa schlich wieder zurück in die Halle.
Es war heiß in Cerdics Halle. Das Feuer und die Lampen warfen einen warmen, hellen Schein in den Raum. Zu Elfgiva durchzudringen war nicht so leicht, wie Offa erwartet hatte. Der lange Tisch stand in der Mitte der kleinen Halle. Auf Offas Weg waren zwei Bauern zusammengebrochen und schnarchten nun leise vor sich hin. Er kletterte über sie hinweg. Endlich war er bei seiner Herrin und wollte ihr das sagen, was Ricola ihm eingetrichtert hatte. Er beugte sich zu ihr herab. Doch Elfgiva sprach gerade mit einem älteren Nachbarn, der ein Stück flußaufwärts lebte. Als der Sklave etwas zu sagen versuchte, winkte sie ihn einfach weg, und als der junge Bursche sich offensichtlich nicht abwimmeln ließ, bedeutete sie ihm zu warten. Höflich setzte sie ihr Gespräch mit dem Bauern fort, der ihr eine endlose Geschichte erzählte. Dabei war doch die Botschaft, die Offa sich genau eingeprägt hatte, einfach genug: Meine Frau schickt mich, oh Herrin. Sie fleht Euch an, ihr zu helfen. Sie will den Herrn nicht beleidigen.
Die Zeit verstrich. Der Bauer schien Elfgiva gerade eine weitere Geschichte erzählen zu wollen. Offa wurde immer unruhiger. Als Elfgiva sich endlich leicht ungeduldig ihm zuwandte, hatte er seinen Faden verloren.
»Meine Frau – « setzte er stockend an.
»Ich brauche sie heute nacht nicht mehr.« Elfgiva lächelte und wollte sich schon wieder ihrem Gesprächspartner
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