Long Reach
betrachtete gedankenverloren den Rothko an seiner Wand. »Was meinst du, Ed?«
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. »Ich glaube, sie sind nervös«, sagte ich ins Blaue hinein.
»Natürlich sind sie nervös, verdammt nervös«, blaffte er mich an. »Die haben Angst, dass ihre Rente wackelt. Aber wenn die glauben, dass ich Jason den Löwen zum Fraß vorwerfe,haben sie sich geschnitten. Die müssen erst mal wieder draufkommen, wer hier ihre Löhne zahlt. Ohne mich wären die nichts weiter als ein Haufen Straßenhändler und miese Halunken. Gar nichts. Die tun, was ich ihnen sage. Ich dulde hier keine verdammte Meuterei. Das lass ich nicht zu.« Er zog an seiner Zigarre und öffnete dann den Mund, als wolle er noch etwas hinzufügen, aber es kam nichts. Er schaute um sich, als hätten die Wände Ohren. Ob das noch der Fall war, wusste ich leider nicht mehr.
»Was hältst du von Solly Wynter?«, fragte er leise. »Meinst du, der würde mich über die Klinge springen lassen?«
Ich zögerte einen Moment lang. Dachte daran, wie Saul mich in Kroatien zur Seite genommen hatte. Ich zögerte zu lang. Irgendetwas las er aus meinem Blick.
»Danke, Eddie«, sagte er. »Dein Schweigen spricht Bände.«
»Also. Wo waren wir stehen geblieben?«, fragte Tommy.
Alle waren zurück am Tisch. Sie hatten draußen beratschlagt und jetzt herrschte eine neue Stimmung. Eine gefährliche.
Als ich aus Tommys Arbeitszimmer getreten war, waren alle Blicke auf mich geheftet gewesen. Plötzlich hatte ich mich mit ihren Augen gesehen. Der Frischling mit direktem Draht zum Boss. Ein Emporkömmling, der sich irgendwie durch Tommys Abwehr geschmuggelt hatte und als Dreingabe auch noch die schöne Tochter des Hauses vögeln durfte. Und das gefiel ihnen nicht.
»Ich habe einen Plan«, sagte Tommy. »Aber zuerst müssen wir diese Angelegenheit klären.« Er legte die Wanze vor sich auf den Tisch, als ob sie ihr Geheimnis enthüllen würde,wenn man sie nur lange genug anstarrte. Es war, als steckte er mitten in einer Pokerpartie und hoffte, irgendjemand werde schließlich einknicken und sein Blatt offenlegen, weil er die Spannung nicht mehr ertrug.
Es war Johnny Reggae, der einknickte. »Was ist mit dem?«, fragte er und deutete mit einem schwarzen Wurstfinger quer über den Tisch auf mich. Die Tatsache, dass endlich jemand den Mund aufgemacht hatte, löste die Spannung. Rund um den Tisch erhob sich auf einmal zustimmendes Gemurmel.
Ich spürte, wie meine Knie weich wurden und das Blut aus meinem Gesicht verschwand.
»Seit der hier an Bord ist, ist alles nur noch schiefgelaufen«, sagte Johnny. »Dauernd ist er dabei, er kommt und geht in unsere Büros und Clubs, wie’s ihm passt, und führt sich auf, als wär er unser Boss, nicht? Auf dem Boot hat er nur rumgelungert, hat dich beobachtet und überall seinen Rüssel reingehängt.«
Ich warf einen kurzen Blick in die Runde. Von Solidarität mit mir war wenig zu spüren.
»Eddie?«, fragte Tommy.
Ich merkte deutlich, dass die Wut des Pöbels am Überkochen war. Sie brauchten einen Sündenbock und der war ich. Und sie lagen ja sogar richtig damit.
Mir blieben nur Sekunden, bis ich gelyncht wurde, das spürte ich. Etwas Radikales musste her. Nur eine Waffe war mir geblieben, also ergriff ich sie. Ich sprang auf und stürzte mich auf Saul Wynter, zerrte ihn am Hemdkragen von seinem Stuhl und hielt ihn so, dass es ihm fast die Luft abschnürte. »Ihr wollt eine Ratte?«, rief ich, am ganzen Leib zitternd. »Da habt ihr eure Ratte!«
Tommys gelassener Blick ruhte noch immer auf mir, während ich diese Worte ausspuckte. Ich kam mir vor, als spielte ich eine riesige Szene, die ich nur mit der Kraft des Premierenfiebers über die Bühne bringen konnte. Saul wehrte sich gegen meinen Griff, japste und lief rot an. Er war kein großer Mann – ich war zu stark und er konnte nicht mal sprechen. Ich fühlte mich wie ein Schulschläger.
»Wenn ich auf dem Boot rumgeschnüffelt habe, dann nur, um rauszufinden, was
er
vorhatte. Dann hat er mich beiseitegenommen und mir für Informationen Geld angeboten.« Ich drehte mich zu Tommy. »Infos über Jason, Sachen, von denen du nichts erfahren solltest.«
Tommy zuckte die Achseln und nickte. Ich ließ Saul in seinen Stuhl fallen. Das war ein ziemlicher Schuss in den Nebel gewesen, aber mehr hatte ich einfach nicht zu bieten.
»Ich hab nur versucht …«, fing Saul an. Er versuchte, seinen Kragen zu lockern, bekam aber kein Wort heraus.
Paul
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