Long Reach
Imbissgeruch meines Lochs in der Deptford High Street. Nie wieder wollte ich dorthin zurück. Ich duschte heiß, legte mich aufs Bett und holte tief Luft. Mir wummerte der Schädel. An Schlaf war natürlich nicht zu denken. Das wurde langsam zur Gewohnheit.
Ich starrte hoch zur Decke und dachte an Benjy French. Er war der Einzige, der überhaupt versucht hatte, nett zu mir zu sein, als ich damals an die Schule gekommen war. Eine komische Type war er schon gewesen, klar, aber auch schlau und lustig. Wäre jetzt wahrscheinlich reif für die Uni gewesen und dafür, sich in sein Leben zu stürzen. Ich dachte an das Jagdmesser, bedeckt mit seinem Blut. Dachte an seine netten, gutbürgerlichen Eltern da oben in Blackheath und wie man sie mit der Nachricht geweckt hatte, dass jemand ihrem Sohn ein Messer in die Brust gerammt hatte.
Mir wurde klar, dass vor lauter nächtlich-dramatischen Ereignissen keiner auch nur einen Gedanken an Benjy French verschwendet hatte.
Ich sah auf die Uhr. Halb sieben. Ich stand auf, holte mein Handy und rief die Auskunft an, um die Notaufnahme des Krankenhauses in Lewisham zu erreichen.
»Ich wollte mich nach Benjamin French erkundigen«, sagte ich. »Er ist doch heute Nacht nach einem Unfall eingeliefert worden?«
Die Stimme bat mich, einen Moment zu warten, und dann hörte ich, wie am anderen Ende der Leitung gemurmelt und geflüstert wurde. Die Stille auf einer Krankenstation am frühen Samstagmorgen.
»Sind Sie ein Angehöriger?«, erkundigte sich die Stimme.
»Ich bin ein Schulfreund.«
Noch mehr Geflüster und dann meldete sich eine andere Stimme in der Leitung. »Es tut mir leid. Mr French ist heute Morgen um vier verstorben.«
Mir drehte sich der Magen um. Der arme Benjy French hatte seinen letzten Atemzug getan, während ich vor ein paar Stunden mit Tony Morris Bier getrunken hatte.
Und seinen Mörder auf meiner Webcam gesehen hatte.
»Brauchen Sie professionelle Hilfe?«, fragte die Stimme.
»Ja, brauch ich«, sagte ich und legte auf.
Ich verließ die Wohnung, ging am Fluss entlang und versuchte, einen klaren Kopf zu kriegen. Mir war ganz schwindelig vor Schlafmangel, aber mein Hirn raste. Ich ging Richtung Hauptstraße. In einem Café auf dem Markt holte ich mir einen Tee und ein Schinkenbrot. Nicht dass ich Lust darauf gehabt hätte, aber irgendetwas essen musste ich. Ich hielt an, um mir eine Zeitung zu kaufen. Vielleicht konnte ich mich ablenken, wenn ich las, was sich sonst so in der Welt ereignete. Hungersnot, Dürre, Flutkatastrophen, Krieg, Klimawandel – solche lustigen Sachen. Ich trat aus dem Zeitschriftenladen und trottete nach Hause.
Dave Slaughters BMW wartete schon vor der Wohnung. Er machte die Tür auf und stieg aus. Auf dem Beifahrersitz konnte ich Johnny Reggae erkennen.
»Wo warst du, verf…?« Dave stieß eine Kette von Flüchen aus und warf mir noch ein paar Schmähungen an den Kopf, während er mich ausquetschte, wo ich gesteckt hatte. Glücklich war er nicht. »Wir suchen dich schon seit Stunden, du …« Noch eine Runde Schimpfwörter und Beleidigungen.
»Joggen«, sagte ich, auch wenn mein Aufzug die Behauptung nicht gerade untermauerte. Ich schaute Johnny Reggae an. Bisher hatte ich nur sein dickes Grinsen und kumpeliges Händegeschüttel gekannt. Jetzt sah er aus wie der Schnitter persönlich.
»Einsteigen«, sagte Dave.
Kein Fluchtweg, kein Versteck. Ich stieg ein.
Sechzig
Donnie schloss leise die Wohnwagentür hinter sich und trat hinaus in den Nebel, der vom Meer emporstieg. Heute war in mancher Hinsicht ein besserer Tag. Zumindest regnete es nicht mehr. In anderer Hinsicht war der Tag schlechter. Sein wummernder Whiskykaterschädel fiel ihm da als Erstes ein.
Er nahm einen Schluck Tee aus dem Plastikbecher und zündete sich eine Kippe an. Drinnen schlief Jason endlich seinen Rausch aus, und so konnte er sich selbst ein paar Stunden Ruhe gönnen, ehe der Wahnsinn weiterging. Gar nicht schlecht, so ein bisschen Zeit totzuschlagen, dachte er sich.
Der Wohnwagen stand am Rand eines Zeltplatzes an der Küste von Thanet, ein Stück hinter dem schicken Ort Whitstable, aber noch deutlich entfernt vom Proleten-Sammelbecken Margate. Das Loch zog nur Illegale und Junkies an und hielt die Bullen auf Trab. Hierher kam nie wer, schon gar nicht außerhalb der Saison. Der Firma diente das Lager jetzt bereits ein paar Jahre als Schlupfwinkel – Donnie selbst hatte sich schon mal ab und an hierher abgeseilt, wenn es nötig geworden
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