Long Tunnel. Ein Roman des Homanx- Zyklus.
Flinx bedeutete Clarity, sie solle sich vor der Stromschiene in acht nehmen, während sie durch den feuchten Korridor eilten. Töten konnte der Strom niemanden, aber ein ausgewachsener Mensch erlitte einen heftigen Schock.
»Wohin laufen wir? Ein Fahrzeug besorgen, nicht wahr? Wir suchen uns eine Transportmöglichkeit und machen uns auf den Weg nach Alaspinport. Meinen Sie, um diese Zeit hätte noch ein Vermietungsbüro offen?«
»In einer Stadt wie Mimmisompo können Sie, wenn Sie genug Geld haben, zu jeder Stunde alles bekommen. Aber wir werden uns nichts mieten. Dies läßt sich nämlich überprüfen und zurückverfolgen.«
Besorgt beobachtete er den vor ihnen liegenden Weg. Nicht zum ersten Mal in seinem Leben fragte er sich, ob er nicht lieber eine Waffe mit sich führen sollte. Das einzige Problem bei einer Pistole bestand darin, daß sie gleichermaßen eine Provokation darstellte wie auch eine Verteidigungsmöglichkeit. Außerdem würde Pip sehr viel wirkungsvoller mit jeder ernsthaften Bedrohung fertig. Ihre Reaktionen erfolgten hundertmal schneller als seine eigenen. In seiner Kindheit hatte er sich häufig in Situationen befunden, in denen eine Waffe sich eher als Hindernis denn als Hilfe erwiesen hätte; daher hatte er es gelernt, grundsätzlich ohne sie auszukommen. Das bewahrte ihn jedoch nicht vor dem gelegentlichen Wunsch, ihr beruhigendes Gewicht am Gürtel oder in einem Schulterhalfter zu spüren.
Scrap hockte gerade aufgerichtet auf Claritys Schulter, ein guter Hinweis darauf, daß die Gefahr, wenngleich nicht vollständig vorüber, so bald nicht mehr zuschlagen würde. Er konnte sich nicht darauf verlassen, daß die Verfolger sich sehr lange Zeit ließen. Sie waren vielleicht schon im Schlafzimmer und hatten gerade festgestellt, daß ihre Beute entwischt war. Als nächstes würden sie vermutlich das Hotel und seine Umgebung gründlich absuchen und in anderen Zimmern nachsehen, ob Flinx und Clarity sich bei irgendeinem Hotelgast versteckten. Sicherlich würde während dieser Operation der Vordereingang bewacht werden.
Es würde sicherlich eine Zeitlang dauern, bis sie herausfanden, daß die Alarmvorrichtung auf der Hintertreppe lange genug außer Betrieb gewesen war, um jemanden in die Servicegasse entweichen zu lassen. Trotz seiner Vorsicht hinterließen sie jede Menge Spuren, wie er genau wußte. Durch Angst veränderter Körpergeruch, Pheromone, Wärmespuren - das alles konnte isoliert und verfolgt werden, falls die richtige technische Ausrüstung zur Verfügung stand. Daran war nichts zu ändern. Ob ihre Verfolger mit solchen raffinierten Suchgeräten ausgestattet waren, hing davon ab, ob sie mit einem möglichen Fehlschlag gerechnet hatten. Es schien nicht der Fall zu sein, aber er konnte sich nicht darauf verlassen, daß ihnen durch solcherlei Unaufmerksamkeit indirekt Hilfe widerfuhr.
»Dort entlang!« Er riß Clarity fast den Arm aus, als er sie um eine scharfe Ecke zog. Nun, da der zweite Mond Alaspins sich zu einem Gefährten am Nachthimmel gesellt hatte, war das Licht etwas besser, damit sie sich eine neue Route durch die Stadt suchen konnten.
Sie kamen bereits an Wohnhäusern vorbei und hatten die Servicegasse weit hinter sich gelassen, während sie sich durch die Nebenstraßen bewegten. Lampen zauberten aus ovalen und runden Fenstern regelrechte Eulenaugen, während Fetzen von TriDi-Sendungen und Musik durch die ansonsten leeren Straßen hallten. Hier gab es keine Insekten, vor denen sie sich schützen mußten. Industrielle elektronische Abweiser hielten sogar die lästigen Milbenkäfer um mindestens hundert Meter vom nächsten Bauwerk fern. Unglücklicherweise war Mimmisompo nicht reich genug, um sich eine Klimakontrolle leisten zu können, daher war es immer noch heiß und feucht. Schweiß rann an beiden Flüchtlingen herab, als sie sich in Sicherheit zu bringen versuchten.
»Wohin wollen wir denn?« fragte Clarity keuchend. »Ich weiß nicht, wie lange ich das noch durchhalte.« Sie hatte in der mitternächtlichen Hitze Mühe, Luft zu holen.
»Sie werden so lange durchhalten wie nötig, denn ich werde Sie nicht tragen.«
Sie hatten den Wohnbezirk hinter sich gelassen und waren nun von Luftdruckkuppeln und Lagerhäusern umgeben. »Ich suche die geeignete Transportmöglichkeit.«
Sie runzelte die Stirn, während sie sich umsah. »Hier? Ich sehe keine Wagen.«
»Ich denke ja auch nicht an einen Luftgleiter oder einen Schleicher«, erwiderte er knapp. »Das ist doch der erste
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