Lord Camerons Versuchung
Cameron war hart und unberechenbar. Alle paar Monate nahm er sich eine neue Geliebte, und er war gnadenlos, wenn es darum ging, Rennen zu gewinnen. Ebenso unerbittlich war er, wenn es galt, seine Pferde und seinen Sohn zu beschützen.
Pferde und Frauen
, hatte Ainsley einmal jemanden über ihn sagen hören.
Das ist alles, was ihn interessiert. In der Reihenfolge.
Und doch hatte sie ein Aufblitzen von Sehnsucht in seinen Augen gesehen.
Cameron hatte noch immer die eine Seite des Briefes. Diese Runde hatte Ainsley verloren, aber es würde eine weitere geben. Es musste eine geben.
»Dann gute Nacht, Lord Cameron.«
Die Hand an ihrem Arm, fest zupackend und nicht länger spielerisch, führte Cameron sie zur Tür. Er wartete, während sie den Schlüssel ins Schloss steckte, und schob sie dann mehr oder weniger aus dem Zimmer. Ohne sie noch einmal anzusehen, schloss Cameron die Tür hinter ihr, und sie hörte das Klicken des Schlosses.
Nun gut.
Ainsley stieß den Atem aus und lehnte sich an die nächste Wand. Sie zitterte am ganzen Leib. Ihr Brustkorb fühlte sich an, als würde eine Faust ihn zusammendrücken, ihr Korsett war viel zu eng geschnürt. Sie spürte noch das Gewicht von Camerons großem Körper auf sich, die Kraft seiner Hände, den Druck seines Mundes auf ihrem.
Sechs Jahre lang hatte sie seine Berührung nicht vergessen, die Hitze seines Kusses, seine Kraft. Hatte nicht vergessen, was für ein Mann er war – ein verbotener, unerreichbarer Mann, den Ainsley Douglas und ihre Probleme nicht kümmerten. Cameron war noch im Besitz des Briefes, und sie musste ihn zurückbekommen, ehe er ihn Phyllida gab oder, schlimmer noch, seinem Bruder Hart. Falls Hart MacKenzie wüsste, welch einen Schatz Cameron nichts ahnend mit sich herumtrug, würde der skrupellose Duke nicht zögern, ihn zu benutzen, dessen war sie sicher.
Aber im Moment konnte Ainsley nur daran denken, wie Camerons Körper sie auf das Bett gedrückt hatte, an die Hitze seines Atems auf ihrem Mund. Wie wäre es wohl, seine Geliebte zu sein? Wunderbar sündhaft und viel zu übermächtig für Frauen wie Ainsley Douglas. Er hatte sie eine Maus genannt, als er sie hinter dem Vorhang auf seiner Fensterbank entdeckt hatte.
Als Ainsley sich endlich von der Wand löste und auf die Hintertreppe zuging, erinnerte sie sich aber auch noch an etwas anderes, etwas, das sie sehr deutlich gesehen hatte, als Cameron ihre Hände über ihrem Kopf festgehalten hatte.
Sein Ärmel war zurückgerutscht und hatte Narben auf der Innenseite seines Unterarms enthüllt. Die Narben waren mit der Zeit verblasst, aber jede war perfekt rund, ungefähr knapp anderthalb Zentimeter im Durchmesser. Ainsley kannte diese Form von einem kleinen Unfall, der einem ihrer Brüder widerfahren war, aber Sinclair hatte nur ein einziges Brandmal davongetragen.
Jemand hatte sich vor langer Zeit damit amüsiert, wiederholt eine brennende Zigarre auf Lord Camerons Arm zu drücken.
Der Morgen war gut dafür geeignet, Night-Blooming Jasmine mit Angelo im Sattel über das Geläuf galoppieren zu lassen, das nicht zu morastig für die Pferde war. Cameron folgte ihm auf einem ehemaligen Rennpferd, während Angelo Jasmine ganz die Zügel überließ.
Cameron fühlte die Kraft des Pferdes, das er ritt, er spürte den Wind auf seinem Gesicht, den Kick des Dahinfliegens – alles war gut dafür geeignet, ihn aus seinem angeschlagenen verkaterten Zustand herauszureißen. Er fühlte sich nur richtig lebendig, wenn er auf einem Pferd saß oder ihre Anmut und Kraft beobachtete, wenn sie liefen. Manchmal, wenn er den Moment der Leidenschaft mit einer Frau erreicht hatte, hatte er den gleichen Lebensdrang empfunden, doch zu allen anderen Zeiten spürte Cameron MacKenzie kaum, dass er durchs Leben ging, fühlte sich wie halb tot.
Außer bei den beiden Malen, die er Ainsley Douglas in seinem Schlafzimmer überrascht hatte. Beide Male hatten ihn diesen Ansturm und das Tosen von Erregung spüren lassen, das Hochgefühl, das sich in seinem Körper ausgebreitet hatte.
Cameron hatte nicht geschlafen, nachdem Ainsley am Abend zuvor gegangen war. Er hatte versucht, seine Lust und seine Wut mit Whisky und Zigarren zu bekämpfen, aber beides hatte nicht gewirkt. Und jetzt war er hier, für seine Verhältnisse sehr früh am Morgen, mit hämmerndem Kopf und trockenem Mund, während er versuchte, das anspruchsvollste Pferd seiner bisherigen Karriere zu trainieren.
Night-Blooming Jasmine, eine dreijährige Stute mit
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