Lord Gamma
beherbergte, benötigte keine lebenserhaltenden Kraftfelder und Generatoren mehr. Es war. Es ist! Und es wird wohl auch immer sein.
Zähneknirschend, doch gleichwohl mit wachsendem Interesse nahm man hin, daß man künftig nicht mehr allein im Sonnensystem weilte, sondern es mit einem hausgemachten Untermieter teilen mußte. Sowohl das Sublime als auch das Advenion verfolgten fortan das gleiche Ziel, wenn auch aus unterschiedlichen Beweggründen. Dabei war das Motiv des Sublime universeller, und der Respekt der Menschen vor dieser unvorstellbaren Wesenheit weitaus größer als umgekehrt. Das Ansehen, das die Menschen beim Sublime genossen, war bescheiden: es hielt menschliche Körper für Larven. Erst der Tod machte sie für es interessant, wenn die menschliche Essenz von ihrer fleischlichen Hülle befreit war – ein Umstand, der eine nicht unerhebliche Schar von Leuten auf der Erde vermuten ließ, bei der erschaffenen Sphäre handele es sich um einen Swedenborg-Raum.
Das Motiv des Sublime, weiterhin mit den Menschen zu kooperieren, erschien ebenso beunruhigend wie prophetisch: es sammelte sich. Es sog sich mit Mustern voll, und dabei verlangte es nicht nur die vom Advenion Auserwählten wie Gelehrte, Künstler, Architekten oder Politwissenschaftler, nein, es wollte alles und jeden, unabhängig von Volksstamm und Rasse. Es war an Eskimos ebenso interessiert wie an russischen Bäuerinnen oder Nomaden aus Zentralafrika. Wie die Menschen Bücher lasen, so trank das Sublime Bewußtseinsmuster. Für viele Gläubige lag es damals nahe zu behaupten, es finde zu sich selbst. Oder anders gesagt: werde wieder zu dem, was es vor Jahrmillionen einmal gewesen war. Im Grunde, so versuchte man die Menschen auf der Erde zu beruhigen, war es nicht mehr als ein metaphysisches Gehirn mit einem Durchmesser von zwölf Kilometern.«
Gamma machte eine Pause, verdrehte die Augen und neigte den Kopf, als vernehme er ein Geräusch, das menschliche Ohren nicht zu hören vermochten. Alles, was ich selbst hörte, war das Rauschen des Blutes in meinen Ohren, das Hämmern meines Herzens und mein Atmen. »Wir konnten nicht rekonstruieren, welche Ausmaße das BRAS-Projekt letztlich erreicht hatte«, fuhr Gamma ein wenig gedämpfter fort. »Ein Sprichwort deiner Welt sagt, die Straße zur Hölle sei mit guten Absichten gepflastert. Die Aufzeichnungen und Einspeisungen von Informationsmustern brachen gegen Ende des 23. Jahrhunderts ab. Wir fanden keine Aufzeichnungen über Datentransfers und Konversationen zwischen dem Sublime und dem Advenion, die nach dem 5. November 2283 datiert waren. Keine protokollierten menschlichen Aktivitäten mehr innerhalb der BRAS-Station, kein Funkverkehr zu den anderen Luna-Stationen oder zur Erde. Es gibt in den Stationslogbüchern und den Dateien weder Anzeichen für ein Unglück oder eine Evakuierung, noch für irgend etwas Unnatürliches. Wir fanden die Reste halb verzehrter Speisen in den Kantinen, aber keine Leichen. Die Betten wirkten, als hätten sich die Menschen im Schlaf in Luft aufgelöst.
Wir glauben nicht, daß die Menschen das Sonnensystem verlassen haben. Nicht in so kurzer Zeit. Wir entdeckten das Sublime. Unsere Studien ergaben, daß die Sphäre während der vergangenen Jahrtausende zwar aktiv war, sich aber in einer Form von Stasis befand und erst bei unserem Eintreffen kurzzeitig reanimiert hatte. Ob dieser Zustand einst vom Sublime selbst geschaffen wurde oder eine Folge der Isolation ist, konnten wir nicht ergründen, ebensowenig, ob es sich in dieser Zeit weiterentwickelt hatte. Alles deutete jedoch darauf hin, daß es die Jahrtausende zeitlos wie in einer Art Koma überdauert hatte.
Die Möglichkeiten, welche die Sphäre in sich birgt, übertreffen selbst unsere kühnsten Vorstellungen. Sie schien schon zu Zeiten des Advenion unter bestimmten Voraussetzungen in der Lage gewesen zu sein, Dimensionen wie Zeit und Raum zu überbrücken. Das Sublime ruht nicht in einer Punktzeit, wie du sie kennst und wir sie bis vor kurzem kannten, sondern erstreckt sich episodisch über einen Zeitraum, der Äonen umfaßt. Eine lebendige Bibliothek, die Jahrtausende Weltgeschichte beinhaltet. Wir wiesen sogar die Spuren eines Zeitstrangs nach, der über eine Million Jahre in die Vergangenheit zurück reicht. Alles wirkte, als hätte das Advenion so etwas wie Evolutions- oder Vergangenheitsforschung betrieben. Bei intensiverem Studieren erhärtete sich jedoch der Verdacht, daß weit mehr dahinter gesteckt haben
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