Lord Gamma
lebendiger Persönlichkeitsmuster. Sie nannten es Bioresearch Altosphere, kurz BRAS. Ziel des Projektes war sozusagen eine Rekonstruktion großer Geister, Koryphäen und Genies anhand ihrer zur Verfügung stehenden Persönlichkeitsprofile. Mittels leistungsstarker Generatoren, die einen kugelförmigen Raum umgaben, wurde von einem Kraftfeld eine metaphysische Sphäre erzeugt, ein absoluter, neutraler Geist. Dieser konnte nun charakterisiert werden, beispielsweise mit dem Persönlichkeitsprofil von Immanuel Kant. Das Ergebnis war, wenn ich es so nennen darf, Kants Geist. Zumindest annähernd.
Im Laufe der langjährigen Forschungen fand man heraus, daß sich in der Sphäre mehrere Persönlichkeitsmuster erschaffen und speichern ließen. Obwohl sie ein und dasselbe Medium teilten, vermischten sich die Muster nicht miteinander. Anfangs forschte man noch mit einem relativ kleinen Prototypen, dessen Durchmesser kaum mehr als einen Meter betrug.
Der zweite BRAS-Raum besaß einen Durchmesser von elf Metern. In ihm ließ sich eine Sphäre erzeugen, die Berechnungen zufolge fähig war, maximal eintausend Informationsmuster zu speichern.
Nach ersten bahnbrechenden Erfolgen und dem euphorisch angekündigten Beginn eines BRAS-Zeitalters folgte bald der Rückschlag. Die Sphäre blieb instabil und brach in regelmäßigen Abständen von knapp fünf Monaten in sich zusammen, wodurch alle eingegebenen Muster wieder erloschen. Man war gezwungen, ständig von vorne zu beginnen. Die erneut eingespeisten Bewußtseinsmuster fingen bei einer Problemanalyse ebenfalls wieder bei Null an. Man konnte sie zwar mit allen Erkenntnissen konfrontieren, die man seit dem letzten Zusammenbruch gewonnen hatte, aber unter dem Strich bewegte man sich im Kreis. Die einzige Alternative blieb, ein paar alte Muster wegzulassen und dafür neue zu integrieren, um eine erweiterte Perspektive zu gewinnen.
Nach vier Jahren drohte dem Projekt wegen seiner Unbeständigkeit das Aus. Die Betriebskosten deckten sich nicht mit dem Wert der gewonnenen Erkenntnisse. Das Projekt galt als ineffizient und unrentabel. Geldgeber sowie Regierungen vertraten einhellig die Ansicht, daß das BRAS eine große, vielleicht sogar revolutionäre Entdeckung darstellte, die aber leider an ihrer mangelhaften Zuverlässigkeit scheitern mußte.
Nach fieberhafter Fehlersuche fand man heraus, daß mehrere Faktoren für die Instabilität der Sphäre verantwortlich waren. Allerdings lag es nicht, wie man zuerst vermutet hatte, an den Feldgeneratoren, die ein zu schwaches oder ein schwankendes Kraftfeld erzeugten. Von technischer Seite gesehen war alles in Ordnung. In Wirklichkeit lag es an der Erdgravitation, die die Sphäre konisch verzerrte, und am Atmosphärendruck, oder vielmehr an der Atmosphäre selbst. Partikel, Gas, Temperatur, all diese Faktoren beeinflußten das BRAS. Anders ausgedrückt: Es ging in regelmäßigen Abständen an einem Schwerkraft-Katarrh zugrunde. Ebenfalls schien die Größe der Anlage von enormer Bedeutung zu sein.
Man konfrontierte das BRAS mit seiner eigenen Komplexität, und es gab eine Art Optimallösung für alle Kriterien. Ein Deus ex machina. Das Ei des Kolumbus. Das Patentrezept war so ungeheuerlich, daß man das Projekt nach dem nächsten Sphären-Kollaps auf Eis legte. Die Bedingungen hatten in etwa gelautet: Atmosphäre: Vakuum. Maximalgravitation: 0,19 g. Maximaltemperatur: minus 117 Grad Celsius. Mindestdiameter: 16 Kilometer.
Einen so gigantischen Hohlraum mit den benötigten Kraftwerken und Feldgeneratoren auf der Erde zu errichten, war nahezu unmöglich. Unabhängig, ob aus Gestein, Metall oder Kunststoff, sein Eigengewicht hätte ihn zerquetscht. Ihn subterran anzulegen, hätte bedeutet, die Risiken von Grundwassereinbrüchen und tektonischen Schwankungen in Kauf zu nehmen. Niemand hatte bisher ein sechzehn Kilometer tiefes Loch gegraben, und niemand hatte ernsthaft vor, es auch tatsächlich zu tun. Es gab Idealisten, die vorschlugen, die Vorteile von Tiefseegräben zu nutzen, doch selbst der tiefste Graben war nicht tief genug für ein solches Projekt. Hinzu kamen die Probleme, die der enorme Wasserdruck und die Auftriebskraft einer hermetisch geschlossenen Sphäre darstellen würden. Die Idee war schnell wieder vom Tisch. Neue Pläne beschäftigten sich mit einer Orbitalstation. Sie hätte alle Kriterien auf einmal erfüllt. Die finanziellen und technischen Probleme machten aber auch sie zunichte. Es hätte Jahrzehnte gedauert, einen
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