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Lord Gamma

Lord Gamma

Titel: Lord Gamma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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den Bewohnern aus ihren Persönlichkeitsmustern entfernt worden. Die Architektur der Bunker war homogen. Der Grundriß aller Stationen glich in etwa diesem:
     

     
    Die Innenwelt der Motte-Station, durch deren nahezu menschenleere Außenbereiche ich mich im Augenblick bewegte, besaß das Ambiente einer Vampirkolonie. Die Wände waren mit schwarzem Stoff behangen, den Boden bedeckten rote Endlosteppiche, und die Korridordecken gefielen sich in schwarzer Holzvertäfelung, von der im Abstand von jeweils fünf Schritten Lampenpaare wie Lindwurmaugen orangerotes Licht in die Gänge warfen. Ich fühlte mich wie in einem U-Boot, das mit Notbeleuchtung durch die Tiefsee steuerte. Eine Zeitlang hielt ich mich noch in den etwas abgelegeneren Außenbereichen auf. Bis auf wenige seltsame Gestalten, die im Vorbeischreiten kaum ihre Köpfe hoben, oder kopulierenden Pärchen, welche ebenfalls die Abgelegenheit der Randbezirke zu schätzen wußten und viel zu beschäftigt waren, um mich zu beachten, begegnete ich niemandem. Ich wußte nicht, wie lange ich in Morpheus’ Armen gelegen hatte, aber wenn alles ordnungsgemäß verlaufen war, verbrachte mein Kolonie-Ego seine Zeit bereits mit seiner unfreiwilligen Entseuchung. Dennoch zog ich es vor, für eine Weile unterzutauchen, bis sich die Lage beruhigt hatte. Ich hatte zwar die Browning verloren, besaß aber noch den Downer. Der Verlust der Pistole ärgerte mich. Bei einer Konfrontation mit dem Lord würde ich ohne sie in ernsthafte Bedrängnis geraten. Es setzte bereits eine Portion Glück voraus, um einen der ihren mit einer Projektilschußwaffe in Schach zu halten, dazu Schnelligkeit und anatomische Kenntnisse. Schoß man einem Menschen in den Kopf oder ins Herz, war er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit tot. Tat man dasselbe bei einem Lord, passierte nichts dergleichen. Man konnte ebenso gut versuchen, eine Minestrone zu erschießen.
    Als ich es leid war, wie ein entflohener Sträfling durch die Korridore der Randbezirke zu schleichen, gelangte ich in den Bereich der Wohnquartiere und ließ meinen Blick über die Namensschilder an den Türen wandern. Elaine, Mario, John, Barbara, Sean, Richard … Nur Vornamen waren in die daumengroßen Messingschildchen eingraviert, welche in Augenhöhe an die Türen geschraubt waren. In keiner der Stationen gab es zwei Vivians oder drei Jacks. Auch lebten in ihnen ebenso viele weibliche wie männliche Bewohner – abgesehen von dieser Station, in der nun zwei Stans umherwandelten (nicht zu vergessen die fünfzehn Stationen, in denen Prill fehlte). Anfangs hatte in allen Kolonien Ausgewogenheit geherrscht. Ich fragte mich, wie lange die Lords gewartet und uns observiert hatten, um eine solche Konstellation auf einen Schlag in ihre Fänge zu kriegen, anstatt die Menschen kreuz und quer im Land einzeln zusammenpflücken zu müssen.
    An einer Tür, auf deren Namensschild ›Hank‹ eingeprägt war, blieb ich stehen. Abgesehen von Prill kannte ich den Bewohner dieses Quartiers besser als jeden anderen dieser Welt. Das galt zumindest für den Hank, der er auf Erden gewesen war. In den verschiedenen Stationen hatte ich ein gutes Dutzend absonderlicher Versionen von ihm kennengelernt. Eine war bizarrer geartet gewesen als die andere. Hank war ein Ping-Pong-Ball von Mensch: richtungslos, beeinflußbar, zurückgezogen, Zeit seines Erdendaseins unverheiratet. Das Leben hatte ihn bereits als Kind zerrüttet. Man merkte es Hank normalerweise kaum an. Er hatte sich im Laufe der Jahre einen Schutzpanzer errichtet und diesen beständig verstärkt, was ihm jedoch kaum noch erlaubt hatte, gefahrlos unter Menschen zu weilen. Die Gefahr galt dabei weniger ihm, sondern mehr seiner Umwelt. Fachärzte hatten ihm gegen seinen Willen ›geholfen‹, ein psychisches Selbstschutzprogramm zu etablieren. Sobald dieses jedoch einmal abgespult und das Pulver verschossen gewesen war, war es mit Hank rapide bergab gegangen. Er war in sich zusammengesunken und hatte kein Wort mehr von sich gegeben, nachdem er manchmal mitten im Satz verstummt war. Sein Blick war leer geworden und dorthin gerichtet gewesen, wo sich niemand – oder nichts – befunden hatte. Das Intelligenteste, was man dann noch mit ihm hatte anfangen können, war, ihn an jenen Ort zurückzubringen, wo er den Psychotank für seinen Schutzpanzer neu auffüllen konnte.
    Am Ende jedoch …
    Ich sah mich vorsichtig um und klopfte an die Tür.
    Kein Geräusch war zu vernehmen. Auch beim zweiten

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