Lord Gamma
angstvollen Blick durch die mir am nächsten liegende Passage. Mein Atem steht still. Ich erwarte ein klaffendes Maul mit Reißzähnen, das heranschießt und mir den Kopf abbeißt, etwas Fürchterliches, nie Gesehenes.
Was ich erblicke, ist ein Raum wie der, in dem ich mich befinde, vielleicht acht Meter lang. Er endet ebenfalls an einer Wand und ist – leer.
Ich glaube es nicht. Er kann nicht leer sein! Etwas muß sich in ihm versteckt halten, hinter der Ecke, außerhalb meines Blickfeldes. Es weiß, daß ich da bin! Ich krieche weiter, erwarte den letzten, alles beendenden Schmerz. Er bleibt aus. Wie ein Kleinkind hocke ich auf allen Vieren auf dem Boden und sehe mich um. Keine reißende Bestie, keine toten Engel, kein Blut. Ich zweifle an meinem Verstand, laufe durch die Räume auf und ab, warte auf neue Passagen, darauf, daß dieser Ort endlos wird. Auch der kleine Raum am anderen Ende des Tunnels ist leer. Vergeblich suche ich die verborgenen Lautsprecher, die mich zum Narren gehalten haben, taste in der Luft nach unsichtbaren anWESENden.
Alphard 3
ETWAS KITZELTE MEINEN NACKEN. Ich öffnete müde die Augen, griff mit der Hand nach dem Störenfried, erfühlte Blätter …
Erschrocken zuckte ich herum, schlug und trat nach dem riesigen Ding, das mich berührt hatte. Mein Stiefel traf seinen Fuß, stieß es von mir. Es raschelte und knackte, kippte zur Seite und schlug dumpf auf dem Boden auf. Sein Blattwerk federte auf und ab, dann lag es still. Rückwärts kriechend entfernte mich von ihm, bis ich mit dem Rücken gegen eine Wand stieß. Schlaftrunken rieb ich mir über die Augen, bis sich mein Blick klärte, und musterte dann das leblose Etwas.
Es war eine harmlose Fächerpalme, deren Blätter mich im Schlaf berührt hatten, kein Verwandter des Wächterwesens. Beruhigt erhob ich mich, lauschte, ob durch den Radau jemand herbeigelockt wurde, aber auf den Korridoren rührte sich nichts. Ich hatte mich in einen kurzen Blindgang zurückgezogen, um abzuwarten, bis das Betäubungsgift des Wächterwesens seine Wirkung verloren hatte. Im Schatten der Pflanze, die mich vom Licht der Deckenlampen abgeschirmt hatte, mußte ich jedoch eingenickt sein. Ich horchte in mich hinein, fühlte mich noch immer leicht berauscht, aber bis auf jene Körperstellen, die ich mir bei meinem Sturz härter geprellt hatte, weitgehend schmerzfrei. Scheinbar wirkte die Substanz der Kreatur tatsächlich rekonvaleszierend.
Der große Tonkübel, in den die Palme gepflanzt war, war an seiner Aufschlagstelle zerbrochen, die Erde über den Boden verteilt. Ich richtete ihn wieder auf und schob ihn so gegen die Korridorwand, daß die Pflanze nicht zur Seite kippen konnte. Was ich an verstreuter Erde auflesen konnte, schüttete ich in den Kübel zurück und versteckte die beiden tellergroßen Bruchstücke dahinter. Dann schlich ich mich davon.
Im Wesentlichen waren alle Stationen nach demselben Schema erbaut und besaßen eine einzige Ebene, die sich über eine Fläche von annähernd fünftausend Quadratmetern erstreckte. Den Großteil bildeten die Wohnquartiere an ihren Randbezirken. Sie umschlossen die Kernebene mit den Freizeit- und Vergnügungsbereichen. In den Zentren existierte eine Anzahl kleiner Arboreten mit Parkanlagen, Waldimitationen oder bescheidenen Seen. Diese Freizonen wurden von künstlichen Sonnen erhellt, die um sieben Uhr morgens auf- und um sieben Uhr abends untergingen – oder besser gesagt: das Licht ging an und aus. Die Lords hatten den 24-Stunden-Tag für die Bewohner konserviert. Die Menschen akzeptierten die plagiierten Tage, Wochen und Monate anstandslos. Ihnen war nicht bewußt, daß sie sich längst nicht mehr auf der Erde befanden. Sie hielten den Schein der elektrischen Heliosphären für Sonnenlicht, das zum Schutz vor Strahlenschäden durch unzählige Filter in die Tiefen der Stationen geleitet wurde. Es wirkte nahezu echt und stellte die Bedürfnisse der Menschen nach Sonnenstrahlen zufrieden. Nachts fiel in diesen ›Freizonen‹ für eine Stunde sogar künstlicher Regen, einmal wöchentlich auch eine Stunde tagsüber.
Neben den Arboreten gab es eine Anzahl von Hallen und Sälen, die zu verschiedenen Zwecken genutzt werden konnten. Am beliebtesten waren Sportveranstaltungen, bei denen Ballspiele, Boxkämpfe oder Leichtathletik-Wettbewerbe ausgetragen wurden. Hunderennen oder Stierkämpfe hingegen suchte man vergeblich. Es gab keine Tiere in den Stationen. Jegliches Bedürfnis nach ihnen war
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