Lord Gamma
einen Seite, die Asche auf der anderen. Dazwischen Ohrenstäbchen mit gelb gefärbten Watteköpfen. Um den Ascher herum dasselbe Durcheinander: Schmerztabletten, ein Steakgewürzstreuer, schmutzige Teller, Bierflaschen, Kronkorken, ausgepreßte Senftuben, Brotreste, gebrauchte Zahnstocher, leere Zigarettenschachteln, alles drunter und drüber. Benutzte Schüsseln und Teller mit Essensresten stapelten sich auf den Polstersesseln. Dann entdeckte ich im Halbdunkel einen Gegenstand, der mich verdutzt innehalten ließ. Es war ein Stück Metallverkleidung, just von der Art, mit der für gewöhnlich die Sicherheitseinheiten hinter den Stationseingängen versehen waren.
Ich entzündete ein paar Kerzen, die in hüfthohen Ständern im Raum verteilt waren, und hob das Metallstück auf. Es glich dem halbierten Tank einer Harley Davidson und war viel zu leicht, um aus irdischem Metall gefertigt zu sein. Die Wächter waren Konstruktionen der Lords. Aber wie kam Hank an die Verkleidung? Sollte er etwa dafür verantwortlich sein, daß inzwischen dieses wandelnde Gemüse aus der Lord-Welt die Arbeit der Sicherheitseinheit verrichten mußte?
Das Stück Metall in der Hand, umrundete ich den Sessel, hinter dem sich Hank verschanzt hatte – und erlebte die zweite Überraschung. Hank war nicht nackt. Er trug vier übereinandergezogene Damenslips mit Spitzenbesatz. Über Arme und Beine hatte er sich lange Damen-Nylonstrümpfe gezogen, den Oberkörper bedeckte ein seidener Spitzen-Unterrock.
Wir blickten einander an. Hank sagte nichts, schluckte nur und starrte. Dabei zitterte er wie Espenlaub, sein Atem bebte. Ich kannte diesen Gesichtsausdruck. Delinquenten besitzen ihn, wenn sich die Tür zur Hinrichtungszelle vor ihnen öffnet und sie den Elektrischen Stuhl oder die Liege für den Empfang der Giftspritze zum ersten Mal mit eigenen Augen sehen.
In Hanks Augen blitzte Todesangst.
Apathisch streifte sich Hank die Nylonstrümpfe von Armen und Beinen und ließ sie achtlos neben sich fallen. Dabei plapperte er wirres Zeug, vielleicht aus dem Bedürfnis heraus, sich das Unbehagen von der Seele zu reden. Mit der Zeit wurde er jedoch ruhiger und entspannter, als wäre er erleichtert darüber, daß jemand hinter seine abartige Veranlagung gekommen war und ihm Gesellschaft leistete. Zwar erkannte ich kaum einen Sinn in dem, was er brabbelte, aber alles schien mit jener futuristischen Konstruktion aus Metall, Plastik und Schaumstoffpolstern zusammenzuhängen, die wie ein lauernder Dreadnought im Nebenzimmer stand. Sprachlos musterte ich die Apparatur. Ich erkannte an ihr einen Großteil der Wächter-Verkleidung wieder, dazu Teile eines Polstersessels und eine Vielzahl von Röhren und Schläuchen, die Hank aus diversen Badezimmern entwendet zu haben schien. Sie besaß zwei Bedienungskonsolen auf den Armlehnen und war meterweise umgeben von elektrischen Leitungen. Verblüfft lief ich um das Gebilde herum, vermied aber, es zu berühren. Die gesamte Konstruktion ähnelte entfernt einem Dentistenstuhl. Auch ohne allzuviel Phantasie war zu erkennen, daß sie keineswegs der zahnärztlichen Behandlung, sondern offenbar Hanks sexueller Befriedigung diente – die Polster und der Teppichboden vor der Apparatur waren über und über mit getrockneten Spermaflecken bedeckt. Ich schüttelte angewidert den Kopf.
»Toll, was?« fragte Hank leise aus dem Hintergrund.
Ich blickte abwechselnd auf ihn und die Apparatur. »Du hast …« Ich suchte nach Worten. »Du hast den Wächter demontiert und dir daraus diese Rammelmaschine gebaut?« Hank erhob sich. In seinen Augen lag unverhohlener Stolz, aber auch etwas, das mich beunruhigte. »Wie hast du es geschafft, ihn zu überwältigen?« staunte ich. »Er hätte bei einem tätlichen Angriff 200 Ampere in dich reinjagen müssen.«
»Oh«, machte Hank, »das war einfach. Ich habe ihn mit dem Touch-Screen für die Klimaanlage deaktiviert.« Er grinste applausheischend. Seine Angst und seine Scham waren wie weggeblasen. Ihm schien nicht einmal mehr bewußt zu sein, daß er nur mit Damenunterwäsche bekleidet vor mir stand. Scheinbar hatte er sich damit abgefunden, ertappt worden zu sein, und war nun bemüht, ein wenig Haltung zu bewahren. Er wirkte locker, erleichtert, ja geradezu erheitert über die Tatsache, daß jemand hinter sein Treiben und das Geheimnis um den verschwundenen Wächter gekommen war.
»Mit einer simplen Fernbedienung? Ausgeschlossen!« entschied ich.
»Wirklich? Dann sag du mir, wie es
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