Lord Gamma

fünfzehn Minuten, ehe die Ebene kollabiert. Entweder kommst du freiwillig mit, oder ich muß dich zwingen!«
    Ich fühlte die Wand in meinem Rücken, die sich nähernden Dragger, die Leere. Sie alle sind einer, hallte es in meinem Kopf, alles ist eins.
    Als Gamma meine Schulter ergriff, versuchte ich in einem Reflex seine Hand fortzuschlagen. Statt dessen zerbarst sein Unterarm zu einer Wolke winziger Partikel, ohne daß sich seine vom Arm abgetrennte Hand von mir löste. Der feine Nebel verdichtete sich augenblicklich und formte die Gliedmaße neu. Ich schlug konfus ein zweites Mal zu, traf Gammas Gesicht. Sein Kopf explodierte, wirbelte für Sekunden wie ein Schwarm aufgescheuchter Pixel um ein gemeinsames Zentrum und modellierte sich ebenso neu wie der Arm.
    »Es hat keinen Zweck, Stan«, sprach die formlose Wolke, ehe sich aus ihr wieder ein Gesicht gebildet hatte. »Ich bin ein Paragon.«
    Ich stürzte zur Seite weg, versuchte mich loszureißen, doch Gammas Griff war eisern, fast, als wäre seine Hand mit meiner Schulter verwachsen. Ich wurde zurückgerissen wie ein Hund an der Leine. Vielleicht krallten sich seine Finger tatsächlich in mein Fleisch, hielten meine Knochen gepackt … Das Bewußtsein, etwas Fremdartigem, Unbeherrschbarem ausgeliefert zu sein, veranlaßte mich zu einer Kurzschlußhandlung. Plötzlich hielt ich die Strahlenwaffe in der Hand, richtete sie auf Gamma.
    »Nein!« stieß dieser aus, »der Assembler wird dich -«
    Der Strahl traf Gamma in den Unterleib. Innerhalb eines Sekundenbruchteils klaffte in seinem Körper ein kürbisgroßes, gleißendes Loch, das rasend schnell größer wurde. Kein Blut quoll aus der Wunde, keine Eingeweide. Kein Gestank verbrannten Fleisches erfüllte den Raum.
    Gamma ließ mich blitzartig los und wich – sich unaufhaltsam auflösend – von mir zurück, ehe die zerstörerische Energie auf mich übergreifen konnte. Sie verzehrte seinen Körper ebenso rasant wie den Fredericks. Die Augen meines Mentors funkelten anklagend, dann waren auch sie verschwunden.
    Aus der schmalen Treppenflucht drang in derselben Sekunde ohrenbetäubender Lärm. Ich stürzte hinüber, warf einen Blick nach unten. Gammas Assembler zwängte sich die schmale Stiege herauf, wobei er sich auf die Seite gelegt hatte, um überhaupt zu diesem Gewaltakt in der Lage zu sein. Einer Spinne gleich arbeitete er sich voran, derweil sein Körper an der gegenüberliegenden Mauer entlangschleifte und das protestierende Kreischen erzeugte. Fingerdicke Lehmschichten von der Wand schabend, kämpfte er sich Stück für Stück die Treppe herauf. Die leuchtend roten Stirnlämpchen verdeutlichten seine Absichten.
    Ich hatte nur kurz hinuntergesehen, die Lichter erkannt und mich zur Seite geworfen. Zentimeter neben meiner Schulter schoß ein blendender Strahl durch die Türöffnung, schlug in die Gebäudedecke und sprengte ein metergroßes Loch hinein. Das halbe Dach kam herabgestürzt, eine Wolke aus gelbem Staub rollte durch den Raum und vernebelte innerhalb von Sekunden die Sicht. Gleichzeitig quoll sie aus der zerstörten Decke ins Freie. Falls die Lords bisher nicht wußten, wo sie mich zu suchen hatten – nun wußten sie es!
    Ich rappelte mich auf, suchte die Orientierung und richtete den Strahler auf die Treppenflucht. Der Assembler war gezwungen, seinen Kopf zu drehen, ehe er auf mich zielen konnte. Zwei seiner Vorderbeine und die langen Antennen tauchten auf, dann folgte ein unglaublich heller Blitz, begleitet vom Donner einer Explosion. Der Blitz hatte seinen Ursprung dort, wo der Assembler saß, und ich blickte genau in ihn hinein.

 
Naos 10
     
     
    DER RÜSSEL GLOTZT MICH AN. Zumindest kommt es mir so vor. Er besteht aus flexiblen, chromglänzenden Metallsegmenten und endet in einer schwarzen Glaslinse. Ich vermute, daß sie eine Kamera verdeckt. Sie betrachtet mich. Und blinzelt. Hat sie nicht eben geblinzelt? Ich kneife die Augen zusammen. Kann nicht mehr klar sehen. Erst der Unterdruck und die Kälte, jetzt Überdruck und Hitze. Vielleicht ist der Rüssel eine Art Rüstung für einen armdicken Wurm. Im australischen Dschungel leben Riesenregenwürmer, die drei Meter lang werden können. Womöglich verbirgt sich hinter der Linse ja ein Auge, und der Wurm trägt ein Sonnenmonokel. Er betrachtet mein Gesicht. Besäße er selbst eines, würde er wahrscheinlich verwundert, geradezu entsetzt dreinschauen. Schmerzen wühlen in meinem Bauch. Ich stehe da wie ein erschöpfter Pavian. Betretenes