Lord Gamma
aus der Maschine gerissen worden und vermutlich …«
»Wir wissen das«, unterbricht mich die Stimme. Wieso klingt sie so absonderlich verzerrt? Ist das ein technisches Problem? Orson Welles spricht aus dem Grab, muß ich denken. Er sagt: »Sie hat Dekompressions-Verletzungen und Erfrierungen.«
»Heißt das, sie lebt?!« staune ich.
»Glücklicherweise ja. Sie bluten sehr stark, Mr. Ternasky. Haben Sie Schmerzen? In Kopf, Lunge oder Verdauungstrakt?«
»Selbstverständlich«, antworte ich. »Hier herrschte schließlich für ein paar Minuten ein ziemlich lebensfeindliches Klima. Woher kennen Sie meinen Namen?«
»Wir kennen ihn.«
»Hören Sie …« Ich zögere. »Mein Bauchnabel – er ist nicht mehr da.«
Die Stimme murmelt etwas in einer fremden, klangvollen Sprache. »Ja«, äußert sie schließlich.
»Ja?« Ich nähere mich dem Kamerarüssel. »Ist das alles? Einfach nur ja?«
»Wir wissen das.« Der Rüssel weicht vor mir zurück. »Bitte verhalten Sie sich ruhig«, verlangt die Stimme.
»Was geht hier eigentlich vor?« rufe ich laut. Langsam wird meine Stimme wieder fester. »Wer sind Sie? Und was ist das hier für ein Ort? Hören Sie mich? Ich möchte endlich wissen, was das alles zu bedeuten hat!« Stille. »Antworten Sie!«
»Das ist nicht möglich.«
»Gut, dann kommen Sie an Bord und erklären es mir!« Erneut Stille, vermutlich als ›Nein‹ zu werten. »Oder beordern Sie wenigstens jemanden herüber, einen Arzt oder so etwas«, fordere ich.
»Das ist nicht nötig.«
»Jemanden wie diesen Kofferträger, den Sie geschickt haben.«
»Wir haben niemanden geschickt«, behauptet die Stimme.
»Blödsinn«, entgegne ich. »Dieser Vertreter-Kobold ist schon einige Male hier aufgetaucht. Zuerst lieferte er dieses Seetha-Er-scheine-Programm hier ab, dann einen mutierten Hummer …«
Für Sekunden bleibt es still.
»Von wem sprechen Sie?« Es klingt zweifelnd. Herrschen dort drüben etwa Kompetenzprobleme?
»Woher soll ich das wissen? Der Kerl hat ja nur unartikuliert gekrächzt.«
Die Stimme schweigt geraume Zeit. Ich trete aufgewühlt von einem Fuß auf den anderen, blicke den reglosen Rüssel an, überlege, ob er wohl elektrische Schläge verteilen oder lähmende Strahlen abschießen kann.
»Hat die Frau diese Person ebenfalls gesehen?«
Ich überlege. »Nein, ich glaube nicht«, räume ich ein.
» Wie lange sind Sie schon bei Bewußtsein?«
Ich bücke mich, sehe durch die Kabinenfenster, versuche vergeblich, hinter denen des schwarzen Schiffes etwas zu erkennen. »Ich weiß es nicht«, gebe ich zu. »Dem Gefühl nach vielleicht zwei Tage.« Erneut fremdartiges Gemurmel, das wie das Vorsingen eines Kinderliedes klingt. Eine zweite und eine dritte Stimme fallen ebenso verhalten ein. Ich verstehe kein Wort, aber sie klingen überrascht.
»Sie dürften sich überhaupt nicht in dieser Zeitebene aufhalten«, meint die erste Stimme. Es klingt wie ein Vorwurf. »Sie haben sich aus der Bordküche bedient, nehme ich an?«
»Natürlich!« rufe ich. »Ist das ein Problem?«
»Kein erhebliches. Wir wußten nicht, daß Sie und die Frau sich auf diesem Zeitstrang befinden. Vermutlich wurden Sie irrtümlich als Interieur angesehen.«
»Als was?« frage ich entgeistert.
»Als Komponenten der Flugzeug-Innenausstattung.«
»Was?« Ich kann nicht glauben, was ich gehört habe. »Soll das ein Witz sein? Wollen Sie mich verarschen?«
»Ihr reproduktives Echo ist wahrscheinlich dafür verantwortlich«, erklärt die Stimme ungerührt. »Ich kann Ihnen keine weitere Auskunft geben. Ihre Präsenz ist temporär. Bitte verhalten Sie sich ruhig.«
»Hören Sie … hey!«
Der Rüssel zieht sich lautlos in die Schleuse zurück. Ich warte ab, ohne daß etwas passiert. Dann gehe ich vorsichtig auf den Notausstieg zu. Orangefarbenes Licht erfüllt die Schleuse. Sie ist vielleicht sechzig Meter lang und schnurgerade. Ein Mensch könnte geduckt hindurchlaufen. Dort, wo sie in das andere Schiff mündet, gähnt eine schwarze Öffnung. Kein Licht jenseits der Verbindung, und keine Spur mehr von dem Rüssel.
»Betreten Sie nicht den Korridor!« warnt mich die Stimme. »Schließen Sie jetzt die Tür!«
»Was wird aus Seetha?«
»Wir kümmern uns um sie.«
Ich zögere, blicke in den leuchtenden Tunnel hinein. Dort drüben liegen alle Antworten. Wer auch immer sich auf der anderen Seite befindet, er hat Seetha und mir zumindest das Leben gerettet. Ich schnaufe verächtlich. Interieur! Das ist der Gipfel! Und was,
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