Lord Gamma
künstlichen Objekte. Die Planeten sind leer. Das Universum der Zukunft ist starr. Es gibt kein Leben, keine Bewegung, keinerlei kontinuierliches Fortschreiten von Zeit und Raum, nur« – er grinste versonnen – »leere Datenträger. Es ist, als ob jegliches Dasein erst kollektiv in die Zukunft hineinexistiert. Oder um es biblisch zu formulieren: Die Zukunft beinhaltet nur die ersten zweieinhalb Tage der Schöpfung. Sagt Ihnen das etwas?«
»Wir haben die menschlichen Religionen studiert«, entgegnete Gamma.
»Sehr gut. Dann sollten Sie sich immer bewußt machen, daß wir und alles um uns herum am Ende einer Straße existieren und das Universum, wie wir es zu kennen glauben, Schritt für Schritt unter unseren Füßen vorantreiben. Dahinter, schon eine Sekunde von uns entfernt, befindet sich ein unfaßbarer Abgrund. Wir rennen wie Hamster in einem riesigen Zeitrad, drehen es im Kreis und treffen die Vergangenheit, die wir zurückzulassen glauben, als Zukunft wieder.«
»Es könnte auch eine Täuschung des Sublime gewesen sein«, widersprach Gamma unbeeindruckt. »Für Prill und Stan und die Menschen von Flug 929 gab es eine Zukunft, Mr. Lord. Sie, den BRAS-Raum…«
»Dann ist das Sublime das Ende aller Dinge«, entgegnete Gennard, dem die verringerte Schwerkraft zweifellos seine alte Selbstsicherheit wiedergegeben hatte. »Wir taten, was wir für richtig hielten«, betonte er. »Die Passagiere hätten niemals etwas davon erfahren. Wären wir in der Lage gewesen, einen Blick in die Zukunft zu werfen, so hätten wir gewußt, ob das Projekt notwendig war. Wir hätten Kenntnis darüber erhalten, wieviel Zeit uns blieb und ob die Menschheit den Sonnensturm überleben würde. Der Plan sah vor, die Menschen bis zur Fertigstellung der Klone im Sublime« – er sah mich an – »zu deponieren, um auf sie zurückgreifen zu können, falls mit den Duplikaten wider Erwarten etwas schiefging. Der Klonungsprozeß und der anschließende Bewußtseinstransfer für die Implantate hätte nicht länger als drei Monate in Anspruch genommen. Beim nächsten Kontakt wäre die Maschine wieder zu ihren Koordinaten zurückgeschickt worden. Allen Beteiligten wäre dieser sechsmonatige Ausflug ins 23. Jahrhundert wie ein Sekundenschlaf vorgekommen.«
»Drei Monate, um eineinhalb Millionen Klone zu züchten?« zweifelte Gamma.
»Nicht direkt. Von jedem Passagier wurde nur ein Klon erschaffen. Alles Übrige war ein Zergliedern ihrer Stränge.«
Seetha zuckte zusammen.
»Es ist ein Verfahren, das weder Schmerz noch körperliche Versehrung beinhaltet«, fügte der Lunide, dem Seethas Reaktion nicht entgangen war, hinzu. »Wie die Planeten, so gleichen auch alle Lebewesen im String-Raum scheinbar endlosen Ranken, durchziehen ihn wie ein Adergeflecht. Die Ursprünge dieser teils Milliarden von Kilometern langen Stränge sind sich ihrer Endpunkte bewußt, und umgekehrt. Nicht als Leben, sondern als Sein. Jedes Individuum des String-Raums überblickt und empfindet seine gesamte Existenz, ist Teil des Ganzen. Wir nennen diesen Zustand Parallelität. Dabei ist es unerheblich, ob ein menschlicher Existenzstrang neben dem einer Nova besteht oder ihn sogar kreuzt, da er durch den Raumfluß keiner dauerhaften Strahlung ausgesetzt ist. Die alten Griechen haben recht behalten. Sie behaupteten: alles fließt – panta rhei.« Er blieb vor mir stehen und erklärte: »Stell dir eine Millionen von Kilometern lange Reihe deiner Körper vor. Jeder dieser Körper denkt und empfindet. Sie besitzen ein gemeinsames Bewußtsein, bilden eine Ganzheit.« Mit einem Seitenblick auf Gamma fügte er hinzu: »Sie können mir glauben, es ist wirklich ein entwürdigendes Gefühl, wieder auf ein dreidimensionales Bewußtsein beschränkt zu sein.
Aufgrund der ständigen Bewegung des Universums bedeutet bereits eine Existenz von einer Sekunde Dauer einen über acht Kilometer langen Strang. Es gibt die Möglichkeit, einen solchen zu zergliedern, einen bestimmten Abschnitt einfach in winzige Sekundenbruchteile zu spalten und zu entfernen, ohne den Strang als Ganzes zu zerstören. Innerhalb weniger Minuten waren wir im String-Raum in der Lage, aus einem in diesem Universum aufwendig gezüchteten Alpha-Klon Tausende von Paragonen zu erschaffen.«
»Wie eine in Scheiben geschnittene Wurst.« Seetha schüttelte sich.
»Ja«, pflichtete Gennard reserviert bei. »Läßt man die verächtliche Banalität des Vergleichs außer Acht, dann könnte man es so beschreiben. Die Paragone
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