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Lord Gamma

Lord Gamma

Titel: Lord Gamma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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waren bis auf ihren Altersunterschied von jeweils einer Nanosekunde absolut identisch.« Er sah zu den Enoe: »In Anbetracht des von Ihnen manipulierten Prill-Klons kann ich davon ausgehen, daß Sie die Alphas in den Stasiszellen gefunden haben.«
    »Das ist richtig«, sagte Gamma. »Doch von den über sechshundert Klonen waren nach der langen Zeit nur noch 78 lebensfähig, darunter Prill und Stan.«
    Gennard schnaubte und betrachtete meine durchwachsene Kleidung. »Wir hätten sie vernichten sollen …«
    »Eine sehr einfache Lösung«, zischte ich. »Warum mußten wir für das Projekt herhalten? Waren die Menschen eurer Zeit nicht gut genug? Oder nicht naiv genug?«
    Der Lunide maß mich mit Blicken. »Das Implantat hätte sogar aus einem Klon Gottes einen fügsamen Paragon gemacht.« Er stemmte seine fleischigen Hände in die Hüften und blickte in die Runde. »Fragen, Fragen, nichts als Fragen. Glauben Sie etwa, wir wären für das Verschwinden der Menschen verantwortlich? Oder hätten den Strahlensturm als Vorwand benutzt? Besteht der einzige Grund, weshalb Sie mich aus dem Sublime geholt haben, darin, mich zu verhören? Sie hätten sich all ihre Fragen mit ein wenig Mühe selbst beantworten können.« Er schüttelte träge den Kopf. »Nun gut, Stan. Ihr dientet dazu, eine temporale Regression zu imitieren, den Artemion- Effekt. [1] Wir folgten damit den Prinzipien der Saltallo-Theorie. Leon Saltallo war ein Gelehrter des 22. Jahrhunderts. Seine These zählte zu den Grundlagen der rechnerischen Vorbereitungen für die Centauri-Mission, in deren Verlauf Menschen immerhin über sechzehn Jahre in einem Raumschiff verbringen mußten, um die Distanz zu unserem Nachbarstern zur überbrücken. Die moderne Antriebstechnologie war gegenüber der des 21. Jahrhunderts zwar weit fortgeschritten, aber noch nicht brückenschlagend.
    Saltallo berechnete die Summe einer temporalen Regression während eines isolierten Aufenthaltes außerhalb des natürlichen Lebensraumes auf jährlich ein halbes Äquivalent der Realzeit. Das bedeutet, daß bei einem Raumflug von sechzehn Jahren eine Regression von achtundsechzig Jahren in Betracht gezogen werden mußte, ein verhältnismäßig geringer Wert. Doch je länger die Isolation dauert, um so schneller schreitet der Artemion- Effektvoran. Bei Reisen in Generationsschiffen, die eventuell einhundert bis zweihundert Jahre unterwegs wären, würde dies bedeuten, daß sich die Kolonisten bei ihrer Ankunft auf dem intellektuellen Niveau der Bronze- oder sogar Steinzeitmenschen befänden und Jahrhunderte bräuchten, um diesen Rückstand wieder aufzuholen.
    Wir schätzten, daß die Erdatmosphäre – sofern sie nach dem Strahlensturm noch vorhanden war – günstigstenfalls dreißig Jahre benötigen würde, um sich zu beruhigen und zu regenerieren. Dreißig Jahre, die wir in unserer BRAS-Arche verbringen mußten, was eine Regression von über 250 Jahren zur Folge gehabt hätte. Darum entschieden wir uns für Menschen des frühen 21. Jahrhunderts. Das Projekt sollte perfekt sein. Die Umstände zwangen uns zu dieser Perfektion.«
    »Womöglich ist das der Grund für die Stasis des Sublime«, schlußfolgerte Gamma. »Es schützt die Menschen vor dem Artemion- Effekt.«
    »Denkbar«, gab Gennard zu. »Es war womöglich nur während der Durchquerungen der Erdbahn aktiv, also zweimal pro Jahr für sechzehn Minuten. Daraus summierten sich die vier Jahre, die wir empfunden haben, während in Wirklichkeit ein viel längerer Zeitraum verstrichen ist.«
    »8766 Stunden …«, flüsterte Seetha.
    »Bitte?« fragte ich. Alle Blicke richteten sich auf die Frau, und sie schluckte verlegen.
    »Das ist nicht korrekt«, sagte Gennard.
    »Ein Jahr – dauert 8766 Stunden«, brachte Seetha hervor. »Sie sagten, dieses Projekt laufe bereits seit vier Jahren. Wenn das Sublime nur zweiunddreißig Minuten pro Jahr aktiv war und ich ebenfalls in ihm …« Sie starrte mich an, als hätte man ihr Todesurteil verkündet. »Mein Gott, Stan, wie lange …?«
    »66 700 Jahre«, antwortete Gamma nach kurzem Überlegen.
    Bis zu diesem Zeitpunkt war der Begriff ›Jahrtausende‹ eine Abstraktion für mich gewesen, eine rhetorische Übertreibung, die ich nicht ernstgenommen hatte. Nun sah ich mich mit einer Gewißheit konfrontiert, die mich schwindeln ließ. Ich war soeben 67 000 Jahre alt geworden! Mein Trost: Gennard sah ebenfalls eine Spur blasser aus als vorher. Nur die beiden Enoe wirkten nicht betroffen.
     
    Irgend etwas

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