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Lord Gamma

Lord Gamma

Titel: Lord Gamma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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an der ganzen Geschichte paßte nicht zusammen. Vielleicht war es nur ein irrationales Gefühl, das mich bedrückte, doch es wurde von Minute zu Minute stärker. Gennards Erklärung klang plausibel, wenn auch überaus phantastisch. Aber sie wirkte seltsam unfertig. Nicht falsch, sondern … unvollkommen. Es gab einen logischen Widerspruch, den auch die Enoe nicht zu korrigieren wußten. Er war greifbar, hier um uns herum, aber ich war nicht in der Lage, ihn zu packen, beinahe so, als wäre er zu offensichtlich, um wahrgenommen zu werden. Er lag so deutlich vor uns, daß selbst Gamma und Gennard ihn nicht erkannten; oder nicht erkennen wollten?
    Der Lunide hatte den Enoe zu wenig Eigeninitiative unterstellt, ihnen vorgeworfen, daß sie sich einen Großteil ihrer Fragen selbst hätten beantworten können. Ich lief an den Rand der Kuppel, blickte hinaus in die Dunkelheit. Die Hülle des Schiffes war kaum zu erkennen, verlor sich bereits nach einhundert Metern in der Schwärze. Das Enoe-Schiff mußte gewaltig sein, viel größer als die riesige Halle unter uns. Lichter glühten auf seiner Oberfläche, umringten das Observatorium, wirkten wie die orangenen Augen von Wölfen, die die Kuppel umzingelt hatten und uns hungrig beobachteten. Gamma und Gennard unterhielten sich, redeten über das Projekt und den BRAS-Raum. Wäre es nicht um Jahrzehntausende gegangen, hätte man meinen können, zwei Nostalgiker hielten ein Schwätzchen. Ich hörte nur mit einem Ohr zu, versuchte dabei, den eigenen Gedankenfaden weiterzuverfolgen, sammelte Satzfetzen wie Puzzleteile. Das Paradoxe daran war: Alle Teile, die ich sammelte, waren unsichtbar. Ungehört. Formten ein Bild, das aus Nicht-Teilen bestand. Es wurde um so deutlicher, je mehr Nichts ich aneinanderfügte. Seetha tauchte neben mir auf, sah mich fragend an. Ich schüttelte den Kopf. Jetzt, als unbeteiligter Zuhörer von Gamma und Gennard, fiel mir ein wesentliches Element auf, das ich zuvor in der allgemeinen Aufregung überhört hatte. Nein, überhört war falsch; es war überhaupt nicht mit einbezogen worden: die Erde! Bei den entscheidenden Überlegungen fehlte sie. Gamma hatte mir in der Projektebene etwas von Evolutionsbiologie erzählt, aber nicht, ob es Überlebende auf der Erde gab, Spuren jener Katastrophe, oder wie groß die Schäden waren, die der Strahlensturm angerichtet hatte. Und nun, wo er Gennard aus dem Sublime gelockt hatte, bezog sich sein Interesse nur auf den Mond, die BRAS-Station und das Sublime. Die zerwühlten Betten, die halbgegessenen Speisen in der Station – was war mit den Städten auf der Erde? Wie lange hielten sich die Enoe bereits hier auf? Sieben Monate?
    Ich wandte meinen Blick von den Lichtern auf dem Schiffsrumpf ab, sah nach oben. Nahezu absolute Finsternis mit einer Nuance Ultraviolett. Mittendrin ein Flugzeug. Dreizehn Kilometer bis zur Oberfläche. Und wieder ein Puzzleteil: keine Sterne. Ich mußte minutenlang ins Nichts gestarrt haben, ehe ich das letzte Fragment des Bildes erkannt hatte: es war die Geschlossenheit!
    Meinen Blick noch immer nach oben richtend, fragte ich: »Läßt sich der BRAS-Raum irgendwie öffnen?«
    »Nein«, antwortete Gennard. »Er ist eine hermetisch verschlossene Sphäre.«
    »Wieso befindet sich dieses Schiff dann in ihm?« Ich drehte mich herum, sah Gamma an. »Ich meine: wie seid ihr hier hineingelangt? Ist die Kuppel beschädigt?«
    Gennard machte ein irritiertes Gesicht und sah ebenfalls in die Höhe, während mein Mentor einen Blick mit dem anderen Enoe tauschte. Ich vermutete bereits seit längerem, daß auch er fähig war, unserer Unterhaltung zu folgen. Als Gammas Bodyguard nahm er bestimmt nicht an dieser Zusammenkunft teil. Hatte Gamma nicht erwähnt, daß zwei von ihnen unsere Sprache gelernt hätten? Der andere Enoe sah auf mich hinab, dann zu Gennard, der den Blick herausfordernd erwiderte.
    »Der BRAS-Raum ist unversehrt«, antwortete er und bestätigte meine Vermutung. Seetha gab einen Laut des Staunens von sich. Gammas Artgenosse stellte sich nicht vor. Sein Name wäre wahrscheinlich eine gesungene Lala-Tonfolge gewesen. Ich nenne ihn daher Rothals, seiner Halsfärbung entsprechend. Dieser Name entsprach durchaus seinem Charakter. Rothals sprach langsam und betont. Seine Stimme war tiefer als die Gammas, maskuliner, dafür von einem wesentlich stärkeren Akzent geprägt. Ich erkannte sie augenblicklich wieder. Sie hatte von dem Dragger aus über die Kabinenlautsprecher des Flugzeugs zu mir

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