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Lord Gamma

Lord Gamma

Titel: Lord Gamma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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um Stan und Prills Alpha-Klon nicht unnötig zu gefährden. Den Rest erledigt augenblicklich Ihr geschätztes Sublime höchstpersönlich.« Er ignorierte Gammas Seitenblick, ließ seine Worte wirken. »Während der letzten Wochen kollabierten in immer rascherer Folge über zwanzigtausend Ebenen.«
    »Vornehmlich wissenschaftshistorische, die von Paragonen bevölkert wurden«, ergänzte Gamma.
    »Das ist völlig absurd«, urteilte Gennard aufgebracht.
    »Der Auflösungsprozeß folgt dabei einem immer schneller voranschreitenden Algorithmus«, fuhr Rothals unbeeindruckt fort. »Unglücklicherweise befand sich auch Projektebene 866 094 unter den jüngst betroffenen.«
    Rothals’ Worte hatten mich aufhorchen lassen. Obwohl ich der Bunkerwelt auch im Nachhinein nichts abgewinnen konnte, erfüllte mich ein beruhigendes, wenngleich schmerzliches Gefühl. Falls Rothals die Wahrheit sagte, existierten die Klone nicht mehr. Achttausend Prills waren erlöst …
    Die Stimme des Enoe riß mich in die Wirklichkeit zurück, als er seine Erklärung mit den Worten schloß: »Kollabierten zu Beginn nur wenige Ebenen pro Woche, sind es zum gegenwärtigen Zeitpunkt fast vierzig pro Minute. In wenigen Tagen werden es bereits ebenso viele Ebenen pro Sekunde sein. Ihr Sublime begeht offensichtlich Selbstmord, Mr. Lord!«
    »Das ist Blasphemie!« schrie Gennard. »Das Geschwätz einer Kreatur, der es an Geist und Glauben mangelt!« Und mit einem verächtlichen Beiklang fügte er hinzu: »Eine Spezies wie die Ihre gehört wahrlich nicht in unsere Zeit; und schon gar nicht ins Sublime!«
    Ich spürte, wie Rothals’ Selbstkontrolle wankte. Im Gegensatz zu Gamma wirkte der Enoe autoritär und kämpferisch, während ich angesichts der schlichtenden, argumentierenden, fast abgefeimten Vorgehensweise meines Mentors zunehmend den Eindruck gewann, den Schiffspsychologen vor mir zu sehen. Gamma schien der intellektuelle Part der Alien-Gemeinschaft zu sein, während Rothals den Unwillen eines genervten Kapitäns zum Ausdruck brachte, dessen Schiff in einer Monsterflaute festsaß. Mir kam es vor, als bringe ihn die Machtlosigkeit und die Unfähigkeit, das Mondverlies zu verlassen, gewaltig auf die Palme.
    Gennard hingegen, auf einem schmalen Grat aus Irritation, Stolz und religiösem Eifer balancierend und sich seiner offenbaren Schlüsselrolle bewußt, verkörperte einen Lord par excellence, ganz so, als hätte er vergessen, daß ihm sein überlegenes Paragondasein abhanden gekommen war. »Wieso sollte das Sublime so etwas tun?« empörte er sich. »Seine Natur ist es, zu wachsen, zu erschaffen, Bestehendes zu erhalten und neues Wissen zu sammeln. Versuchen Sie mir also nicht weiszumachen, es sei entartet!«
    »Jedenfalls hat es die Maximen neu definiert«, mischte sich Gamma in die Auseinandersetzung ein. »Wir zählten in ihm sieben Milliarden Bewußtseinsmuster, aber wir konnten nicht feststellen, ob es Paragone oder lebende Menschen sind.«
    »Wollen Sie mir einreden, daß die Erdbevölkerung des 23. Jahrhunderts nicht im Sonnensturm umgekommen sei, sondern noch am Leben ist, irgendwo im Sublime?« Gennard schüttelte den Kopf. »Das ist irrational, Enoe.« Er sah Rothals an, dann Seetha. »Sie glauben doch nicht etwa, sie sei der Beweis dafür; eine Frau aus dem 21. Jahrhundert, die für ein Milliardenvolk des 23. Jahrhunderts den Zaunpfahl schwingt?«
    »Der Beweis ist das, was nicht hier ist«, erwiderte Gamma.
    »Sieben Milliarden Menschen?«
    »Nein, Mr. Lord … die Erde!«
    »Die Erde?« echote ich ungläubig. »Das ist ein schlechter Witz!«
    »Keinesfalls«, sagte Rothals. »Wir sind durch die Station an die Oberfläche gestiegen, haben das All studiert, um unseren Standort zu bestimmen. Wir wußten lange nicht, wo wir waren, zogen sogar ein Paralleluniversum in Betracht. Als wir erkannten, daß es dasselbe Sonnensystem ist, wunderten wir uns, denn der wichtigste Bezugspunkt existierte nicht: die Erde.«
    »Dann befindet sie sich hinter dem Horizont«, entschied Gennard, »auf der uns abgewandten Hemisphäre. Vielleicht hat sich die Rotation des Mondes während der vergangenen 66 000 Jahre verlangsamt.«
    Diesmal war es Rothals, der den Kopf wiegte. Er sagte: »Ohne Erde gab es auch keinen Zeitschatten, den der Mond durchqueren konnte. Und wenn es keinen Zeitschatten gab, dann sind keine 66 000 Jahre vergangen, sondern womöglich tatsächlich nur vier – und wir befänden uns in Ihrem Jahr 2287!« Er sah den Luniden aufmerksam an.

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