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Lord Gamma

Lord Gamma

Titel: Lord Gamma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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Wartungsganges, durch den im Notfall ein Mensch kriechen konnte, um Reparaturarbeiten am oberen Ventilator durchzuführen oder Verunreinigungen der Rotorblätter zu beseitigen. Ich löste den Sitzgurt, um volle Bewegungsfreiheit zu besitzen, verknotete ihn mit dem Seil, so daß er einen Meter über der Turbine hing. Das Verschlußgitter abzuschrauben, war ein Kinderspiel. Dahinter lag ein finsterer, etwa siebzig Zentimeter im Quadrat messender Gang, der nach etwa fünf Metern auf einen weiteren senkrechten Schacht traf. Eine Eisenleiter führte hinab in eine kleine Kammer. Dort angekommen, verschnaufte ich. Kein Laut drang hier an meine Ohren. Der Raum, etwa sechs Quadratmeter groß, diente lediglich dem Zweck, den Zugang zum Schacht durch eine Metalltür zu verschließen. Zwei Bolzenschlösser sorgten dafür, daß kein Unbefugter eindrang. Es waren jämmerliche Sperren, und auch die Tür ähnelte mehr dem Zugang zum Heizungsraum eines Mehrfamilienhauses. Für die Bewohner der Station hingegen war diese Pforte ein unüberwindliches Hindernis. Vielleicht wußten sie nicht einmal mehr, was eine verschlossene Tür war.
    Das Aufbrechen der beiden Schlösser beanspruchte mehr Zeit, als ich erwartet hatte. Während das untere relativ leicht zu öffnen war, mußte ich das obere teilweise demontieren, um an den eingerosteten Schließmechanismus zu gelangen. Eine halbe Stunde später war das Werk vollbracht. Die Tür schwang nach innen auf. Ich öffnete sie vorsichtig und blickte auf ein rotes Tuch aus Wandsatin. Verächtlich schüttelte ich den Kopf. Kein Wunder, daß die Tür so primitiv war; niemand war von außen in der Lage zu erkennen, daß sich hinter dem Wandbezug ein Zugang zum Lüftungssystem verbarg. Scheinbar wurde er nicht mehr benutzt. Ich zog ein Klappmesser hervor, schnitt ein Spalt in den Stoff und spähte hindurch.
    Vor der Tür war es dunkel, aber nicht stockfinster. Nach meiner Erfahrung mußte ich mich noch über der ersten Ebene befinden. Von rechts fiel warmes Zwielicht herein, und die Luft besaß ein teils nach Reinigungsmitteln, teils nach Parfum riechendes Odeur. Der Strahl meiner Stirnlampe malte ein großes gelbes Juwel an die gegenüberliegende Korridorwand. Ich schaltete sie ab und verstaute sie im Rucksack, den ich neben der Steigleiter deponierte. Dann vergrößerte ich den Spalt, atmete noch einmal tief durch und schlüpfte hinaus auf den Gang.
    Auf ein neues!
    Hic Orkus, hic salta!
     
    Der Korridor endete einen Meter links von mir an einer Wand, während er auf der anderen Seite über eine kurze, abwärtsführende Treppe nach vielleicht fünfzehn Metern in einen beleuchteten Quergang mündete. Alle Wände waren mit dunkelrotem Samt bespannt. Aus dem Quergang näherten sich Stimmen. Ich duckte mich in die Dunkelheit, meine Hand am Griff der Browning. Drei Personen huschten am Korridor vorbei, zwei Männer und eine Frau. Sie waren aufgemotzt wie Besucher eines englischen Pferderennens, die Männer in Maßanzügen, die Frau mit einem Hut, der jeglicher Beschreibung spottete und die halbe Breite des Querganges für sich beanspruchte. Ihre Stimmen entfernten sich rasch wieder. Ich erinnerte mich meiner eigenen Garderobe: blutgetränktes T-Shirt, zerschlissene Lederjacke, schmutzige Blue-Jeans, Lederstiefel. Hervorragend. Falls die Bekleidung der drei Bewohner Standard war, fiel ich auf wie eine tanzende Vogelscheuche.
    Ich beschloß, meinen Plan zu ändern. Zuerst würde ich mir passende Kleidung zulegen, die zweckmäßig genug war, um meine Waffen unauffällig zu verstauen. Dann erst folgte die ›Deaktivierung‹ meines Alter Egos.
    Ich lief vor zum Quergang und schielte um beide Ecken. Der Korridor war leer. Rechts knickte er nach wenigen Metern ab, links führte er bis zu einer zwanzig Meter entfernten Doppelflügeltür. Ich entschied mich für die rechte Seite. Ein dicker Teppich, der den Boden bedeckte, verschluckte meine Schritte. Auch die der jungen Frau, welche urplötzlich vor mir um die Ecke bog. Sie war damit beschäftigt, den Lack an ihren Fingernägeln trockenzublasen und lief fast in mich hinein.
    »Stan …?!« erschrak sie und blieb ruckartig stehen. Ihr Blick fiel auf meine Kleidung. »Himmel, wie siehst du denn aus?« Sie verzog entsetzt das Gesicht. »Du willst doch nicht etwa so in den …«
    Ich schnellte vor, schleppte sie um die Ecke, drückte sie gegen die Korridorwand und hielt ihr den Mund zu. Die Augen des Mädchen waren schreckgeweitet, dann mischte sich etwas in

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