Lord Garrows widerspenstige Braut
erkundete. Guter Gott, sie konnte ihn schmecken! Dennoch war es kein unangenehmes Gefühl. Als James den Kuss beendete, schaute Susanna ihn zweifelnd an.
Offensichtlich hatte er kein Verlangen danach, sie noch einmal zu küssen, denn er ließ die Hände sinken und machte einen Schritt zurück. "Nun – wir sind verheiratet. Du siehst etwas erhitzt aus."
"Erhitzt?" stammelte sie verwirrt.
Ihr Vater umarmte sie, was ihr eine Antwort für ihren frisch angetrauten Ehemann ersparte. "So, jetzt ist mein kleines Mädchen eine Ehefrau. Ich wünsche dir alles Glück der Welt, mein Liebling. Ich bin mir sicher, du wirst es bekommen."
Etwas widerstrebend bedankte sich Susanna für die guten Wünsche. Nie würde sie ihrem Vater eingestehen, dass sie sich vorkam, als hätte er sie den Wölfen zum Fraß vorgeworfen. Dem Leitwolf vielmehr. Nein, diese Genugtuung würde sie ihrem Vater nicht geben. Und außerdem, ermahnte sie sich, war die Heirat ihre eigene Entscheidung gewesen. Sie hatte ihre Wahl getroffen.
Als Susanna über die Schulter ihres Vaters hinweg zu James aufsah, war sie überrascht, keine Spur von männlicher Überheblichkeit oder irgendetwas anderem in seinem Gesicht lesen zu können, was darauf hingedeutet hätte, dass er sich als Herr der Lage fühlte. Nein, er sah ernst und gefasst aus. Nach und nach kehrten Susannas Selbstsicherheit und ihr Mut zurück. "Ich werde mich schon an mein neues Leben gewöhnen", murmelte sie leise.
"Davon bin ich überzeugt", pflichtete ihr Vater ihr bei. "Ich fürchte, in den letzten Jahren warst du nicht sehr glücklich daheim, aber jetzt …"
"Das meine ich nicht", erklärte Susanna rasch. "Könnten wir wohl gleich zurück ins Hotel? Ich sterbe vor Hunger!"
"Dein Wunsch ist mir Befehl", entgegnete James, während er ihr den Arm reichte. Susanna legte ihre Hand auf seinen Arm. Dieses eine Mal würde sie sich auf ihn stützen. Ihr inneres Gleichgewicht war heute ins Wanken geraten, denn zu viel war in so kurzer Zeit passiert. Wenn sie im Kirchenschiff zusammenbrach, würde das kaum ihr Selbstbewusstsein und ihre Stärke unter Beweis stellen. Susanna hoffte, dass das Schwächegefühl, das sie spürte, bald vorübergehen würde. Vermutlich habe ich zu wenig gegessen, versuchte sie sich einzureden.
"Der Kuss war nicht sehr schicklich", gab sie James leise zu verstehen, während sie an seinem Arm das Kirchenschiff entlangschritt. "Du solltest es von jetzt an vermeiden, die Leute mit solch schockierenden Darbietungen zu beeindrucken."
Er nickte. "Bitte entschuldige, liebe Frau. Offenbar hat mir deine Schönheit für einen Augenblick den Verstand geraubt", erklärte er mit unerschütterlicher Ruhe.
Susanna machte sich nichts vor – James wollte sie mit diesem Kompliment zum Besten halten. Aber für seine Fähigkeit, mit Kritik umzugehen, und für seine guten Manieren gab ihm Susanna einen Punkt. "Schon vergessen. Aber sieh zu, dass dir das nicht wieder passiert", lenkte sie ein.
Sie ließ sich von ihm die Kutsche hinaufheben. Innen waren bereits die Laternen angezündet worden. Die breiten Schultern des Highlanders pressten gegen ihre, als er sich neben sie setzte. Obwohl sein Jackett zu eng saß, bemerkte Susanna nun, dass es aus bestem Tuch war. Erst jetzt fiel ihr auf, dass er sich kein Makassar-Öl in die Haare einmassiert hatte, wie die meisten Londoner Herren das taten. James duftete vielmehr trotz der in Edinburgh allgegenwärtigen Gerüche von Schmutz, Rauch, Kot und Fäulnis schwach nach Heidekraut. Der Geruch erinnerte Susanna an die Sommer ihrer Kindheit in den Cotswolds, wo sie in der frischen Luft auf den Wiesen gespielt hatte. Neugierig musterte sie ihn. James war von der Sonne leicht gebräunt, und um sein Kinn lag ein dunkler Schatten.
Susanna studierte immer noch seine markanten Kieferknochen, als ihr Vater in die Kutsche stieg, wo er sich ihnen gegenüber niederließ. Offensichtlich war er mehr als zufrieden mit dem, was er bewerkstelligt hatte. Susanna war ebenfalls nicht unzufrieden. Unter den gegebenen Umständen war die Heirat mit diesem Schotten das Beste, was ihr hatte passieren können.
Susanna träumte davon, die erste vollkommen emanzipierte Ehefrau in ganz Großbritannien zu sein. Ihr Leben würde ein Beispiel für andere sein, wenn es ihr gelang, Drevers trotz der geltenden Gesetze als Eigentum zu erlangen, das wusste sie. Welcher Ort wäre zudem besser geeignet, ihre Theorien von Gleichberechtigung von Mann und Frau in ihrer Ehe in die Praxis
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