Lord Stonevilles Geheimnis
»Ist das der Dank dafür, dass wir ihn in deine Arme getrieben haben?«
»In ihre Arme getrieben?«, wiederholte Oliver erstaunt.
»Na ja, indem wir dich eifersüchtig gemacht und dich von ihr ferngehalten haben«, erklärte Gabe.
»Und wir haben dich in Bezug auf ihre Erbschaft belogen«, fügte Jarret hinzu. »Obwohl dieser Trick nicht ganz aufgegangen ist.«
»Wenn wir nicht gewesen wären, wärt ihr gar nicht zusammen!«, sagte Celia.
»Ich nehme an, meine Frau ist da anderer Meinung«, erwiderte Oliver. »Aber dieses Thema wollen wir jetzt nicht vertiefen. Ihr könnt mich beschimpfen, so viel ihr wollt, aber Großmutters Ultimatum gilt weiterhin. Euch bleiben noch zehn Monate, dann müsst ihr verheiratet sein.« Er blickte lächelnd in die Runde. »Und da sich das als schwierig erweisen könnte, habe ich jemanden eingestellt, der euch zur Seite stehen wird.«
Er drehte sich zur Tür um. »Mr Pinter? Würden Sie bitte hereinkommen?«
Der Ermittler betrat die Bibliothek. Seiner Miene nach zu urteilen war ihm nicht ganz wohl dabei, der gesamten Skandalfamilie auf einmal gegenüberzustehen.
»Mr Pinter hat sich bereit erklärt, euch zu helfen. Er wird Nachforschungen über eure potenziellen Ehepartner und ihre Absichten anstellen. Bei euch Mädchen müssen wir besonders auf eventuelle Mitgiftjäger achten.« Das wusste er aus erster Hand. »Deshalb wird Mr Pinter jeden überprüfen, der euer Interesse weckt. Das sollte den ganzen Prozess beschleunigen.«
»Und jegliche Romantik töten«, bemerkte Celia leise.
Pinter zog eine Augenbraue hoch, sagte aber nichts.
»Danke, Mr Pinter«, sagte Oliver. »Wären Sie so freundlich, in meinem Arbeitszimmer zu warten? Ich habe noch etwas anderes mit meinen Geschwistern zu besprechen.«
Pinter nickte und verließ die Bibliothek.
Nun kam der schlimmste Teil. Oliver schloss die Tür und stellte sich hinter Maria, denn nun brauchte er ihre Kraft. Sie ergriff seine Hand und drückte sie.
»Ich habe euch nie die Wahrheit darüber gesagt, was an dem Tag vorgefallen ist, als Mutter Vater getötet hat. Es wird Zeit, dass ich es tue. Es gab zu lange zu viele Geheimnisse zwischen uns.«
Die anderen sahen ihn erschrocken an. Oliver war seine Rede ein Dutzend Mal im Kopf durchgegangen, doch nun, da der Moment gekommen war, brachte er die Worte kaum heraus. Zum Glück war Maria bei ihm, deren Großherzigkeit und Verständnis ihm Mut machten.
Stockend begann er, von den Ereignissen an jenem entsetzlichen Tag zu berichten. Er hatte mit dem Gedanken gespielt, nicht preiszugeben, dass er mit Lilith geschlafen hatte, und Maria hatte ihn sogar davon zu überzeugen versucht, dass er sich diese Demütigung nicht antun musste. Doch als er versucht hatte, sich die Geschichte unter Auslassung dieses Details zurechtzulegen, war es ihm jedes Mal misslungen. Es führte kein Weg daran vorbei: Er musste die ganze Wahrheit erzählen.
Während er sich durch seine Offenbarung quälte, konnte er es nicht über sich bringen, die anderen anzusehen. Ihm war natürlich klar, dass es nicht einfach sein würde, seinen Geschwistern zu gestehen, dass er für den Tod der Eltern verantwortlich war, aber dass es so schwer sein würde, hatte er nicht geahnt.
Maria hingegen schon. In dem Bemühen, ihn zu schützen, hatte sie ihn mehrfach gefragt, ob er sicher sei, dass er es wirklich tun wolle. Aber seine Geschwister und seine Großmutter hatten es einfach verdient, die Wahrheit zu erfahren.
Totenstille senkte sich über den Raum, als Oliver fertig war. Maria drückte seine Hand so fest, dass es schmerzte, und er konnte sich immer noch nicht dazu überwinden, die anderen anzusehen.
Dann ergriff Jarret das Wort. »Dieses eiskalte Miststück!«, sagte er voller Verachtung. »Ich hätte wissen müssen, dass Mrs Rawdon damit zu tun hatte. Sie ist an dem Abend sehr hastig mit Major Rawdon aufgebrochen.«
Oliver hob verblüfft den Blick und sah Jarret in die Augen, in denen nicht der geringste Vorwurf zu erkennen war.
»Sie hat mit jedem anwesenden Mann geschäkert, sogar mit mir«, fuhr Jarret fort. »Dabei war ich erst dreizehn! Sie hätte genauso gut in mein Zimmer hereinspazieren können.«
Celia, die neben Jarret saß, schluchzte leise, und Gabe räusperte sich mehrmals. Minerva sah Oliver mit so viel Mitgefühl an, dass ihm die Tränen kamen.
Er konnte es nicht glauben. Hatten Sie denn gar nichts verstanden? Hatten sie ihm
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