Lords of Salem: Roman (German Edition)
erleichtert, als er wieder festen Boden unter den Füßen hatte.
Er eilte durch die schlammigen Straßen des Orts, vorbei an einigen der neueren und kleineren Wohnhäuser, von denen viele noch nicht fertiggestellt waren, bis er zu einem Holzhaus mit einem an einer Seite weit heruntergezogenen Schrägdach kam. Mit seiner soliden Bauweise und dem dunkelroten Anstrich war es das größte Haus in der Straße oder sogar im gesamten Ort. Er klopfte mit dem Knauf seines Gehstocks an der Tür. Ungeduldig wartete er, und als niemand öffnete, klopfte er erneut.
Nach einer Weile wurde die Tür aufgeschwungen. Dahinter stand ein Mann Anfang fünfzig, dessen mächtige Statur fast den gesamten Türrahmen ausfüllte. John Hawthorne. Er hielt eine Kerze in der Hand. Seine Haare waren schulterlang, die Füße nackt. Er trug ein Nachthemd aus grobem Leinen, das am Hals und an den Handgelenken von Schnüren zusammengerafft wurde, und obwohl er offenbar aus dem Schlaf gerissen worden war, wirkte er nicht verwirrt, sondern konzentriert und hellwach.
» Bruder Mather«, sagte er. » Alles in Ordnung?«
Richter Mather schüttelte den Kopf. » Nein«, sagte er. » Ich habe den Rauch gesehen. Ich hatte recht, Margaret Morgan zu verdächtigen. Es geschieht. Just in diesem Augenblick.«
Hawthorne presste die Lippen aufeinander und runzelte die Stirn. » Der rote Rauch des Todes«, sagte er mit gewichtiger Stimme. » Dann ist es so, wie wir befürchtet haben.«
» Jawohl, Bruder. Ich kann nur beten, dass die Engel uns beistehen bei unserem Bestreben, diese üble Schlange aus unserer Gemeinde zu vertreiben.«
Hawthorne holte tief Luft und nickte. » Ich fürchte, der Teufel persönlich wandelt unter uns. Ich fürchte, unsere verzweifelten Gebete sind bei unserem Herrn auf taube Ohren gestoßen.« Er legte eine Hand auf die Schulter seines Gegenübers. » Bruder Mather, die Plage ist erneut über Salem gekommen.«
Richter Mather nickte knapp. » Ich befürchte dasselbe«, sagte er. » Aber wir müssen unser Bestes geben. Kleidet Euch an. Wir müssen alles tun, um die Knospen des Bösen abzuzwicken. Wenn wir in der Überzeugung handeln, dass Gott mit uns ist, wird Er es sein.«
» Wir werden tun, was wir können«, sagte Hawthorne.
» Wir müssen die Brüder holen«, sagte Mather. » Es gibt niemanden, der für diese Aufgabe besser geeignet wäre.«
» Ihr sagt es.« Hawthorne wandte sich zum Inneren des Hauses um und winkte Mather, ihm zu folgen. » Aber auch die Brüder haben ihre Grenzen.«
4
D as Haus lag abseits der ausgetretenen Pfade. Es war ein grob gezimmertes, aber solides Bauwerk, eine raffinierte Konstruktion aus Holz, behauenen Steinen und dickem Schilfrohr. Aus dem Kamin, einem wackligen Turm aus rohen Ziegeln, quoll Rauch, der die Dunkelheit noch undurchdringlicher machte.
Der Mann, der im Licht des Eingangs stand und hinausblickte, war riesig und tapsig, eher ein Bär als ein Mensch. Sein linkes Auge wurde von einer Lederklappe verdeckt, die irgendwann einmal schwarz eingefärbt, aber mittlerweile ausgeblichen war. Durch das graue Haar und das faltige Gesicht wirkte er wie Mitte sechzig, doch der starke, muskulöse Körper hätte auf einen jüngeren Mann hingewiesen, wären nicht Hände und Arme von einem Netz aus Narben bedeckt gewesen. Er spähte einen Moment lang hinaus in die Dunkelheit, dann grunzte er, kehrte ins Haus zurück und schlug die Tür hinter sich zu.
Dean Magnus ging zum Feuer, über dem auf einem Spieß ein totes Tier hing – vielleicht ein Hirsch. Das Fleisch war außen schwarz und verkohlt, aber als er mit seinem Messer hineinschnitt und ein Stück herauslöste, war das Innere noch blutig, fast roh. Er begann zu essen, und der Fleischsaft und das Blut flossen über seinen ohnehin schon schmutzigen Bart und tropften auf das Hemd.
Hinter ihm, an einem kleinen Holztisch, dessen Platte verrußt und voller Kerben war, saß sein Bruder Virgil. Die Familienähnlichkeit war unübersehbar. Zwar trug er keine Augenklappe wie Dean, doch dafür war eine gute Hälfte seines Gesichts von tiefen Narben entstellt, die Folge des Hiebs einer Bärentatze. Das Fell des Bären lag auf dem gestampften Erdboden neben dem Tisch, und Virgil hatte die Füße auf seinen Kopf gelegt. Ganz in der Nähe des Tischs war eine Ziege, die von einem großen Strohballen fraß, mit einer Kette an die Wand gebunden. Auf dem Tisch vor ihm lag ein verbeulter Zinnteller mit einem Stück der Keule, verbrannt an den Rändern und roh in
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