Lords of Salem: Roman (German Edition)
wackeln, um Herman dazu zu bringen, die Panik darin wahrzunehmen. Doch ehe er es bemerkte, begann die Musik.
Und dann wurde es richtig seltsam. Die Bühne zog sie nun beinah physisch an, als hätte jemand ein Seil um ihre Taille geschlungen und holte dieses Stück für Stück ein. Oder schlimmer, viel schlimmer: als hätte jemand ihren Bauch aufgeschnitten und die glitschigen Schlingen der Eingeweide herausgezerrt, um sie an ihrem eigenen Fleisch, wie mit einem Seil, nach vorn zu ziehen. Sie musste sich mit beiden Händen an ihrem Stuhl festhalten. Sie hatte außerdem den Eindruck, ihr Gesichtsfeld würde eingeschränkt, als hätte sie zuvor durch eine Maske geblickt, und diese Maske würde sich von ihren Augen entfernen, sodass sie durch die Löcher immer weniger erkennen konnte. Die Bühne konnte sie sehen, doch sie wirkte nun weit entfernt, als wäre sie selbst geschrumpft und hätte sich tiefer in ihren Körper zurückgezogen.
Dann blinzelte sie, aber es waren nicht nur ihre Augenlider, sondern darüber hinaus etwas in ihrem Inneren, das blinzelte. Sie zog sich nicht nur in ihren Körper zurück, begriff sie. Etwas anderes – etwas, das sie noch nie gesehen und von dessen Existenz sie nicht gewusst hatte – wuchs heran und tauschte mit ihr die Plätze. Vorher war es ein harter Tumor oder eine Fistel tief in ihr gewesen, doch nun füllte es ihren Körper aus, und sie war der Tumor, sie war die Fistel.
Hilf mir , versuchte sie zu sagen, aber es kam nichts heraus.
Die Kreatur in ihr lachte. Etwas, das du noch nie gesehen hast? , sagte sie. Schätzchen, du hast mich geschaffen. Du hast mich zum Leben erweckt. In ihrem Geist blitzten Bilder auf von jeder Situation, in der sie gelogen, geschummelt oder gestohlen hatte, besonders von den dunklen Tagen der Abhängigkeit, von jenem Moment, als sie zum letzten Mal bei Griff gewesen und zusammengerollt neben ihm eingeschlafen und dann aufgewacht und fortgegangen war, ehe sie später erfahren hatte, dass er gestorben war. War er an diesem Schuss gestorben, wegen ihr? Sie konnte es unmöglich wissen. Vor allem das, aber auch die harmloseren Dinge, die sie getan hatte, hatten also allmählich eine Art Monster geschaffen, das sie nun aus ihrem Körper verdrängte.
Nein, sagte eine andere Stimme in ihr. Das war sie nicht. Das war nur eine Täuschung. Es war etwas anderes, das die Kontrolle über sie zu übernehmen versuchte.
Als die Musik mit dem Schlagen einer einzelnen Trommel begann, klammerte sie sich an den Armlehnen fest, und das Ding in ihr ließ sie. Es wartete gern, bis sie es nicht mehr aushielt. Sie begriff plötzlich, dass es glaubte, ihr Widerstand würde sie ermüden, ihre Kräfte schwächen und sie letztlich nachgiebiger machen. Doch noch hielt sie durch.
Als die Kreatur die Kontrolle übernahm, eroberte sie zuerst ihre Kehle und ihren Mund. Heidi wollte Hilf mir schreien, aber die Kreatur hielt die Worte zurück. Stattdessen präsentierte sie ihren eigenen düsteren Singsang, eine Lobpreisung Satans. Sie sah Herman verwirrt von ihren Worten zusammenzucken und war ebenfalls verwirrt, konnte jedoch nicht aufhören. Dann schlich sich die Kreatur in ihre Arme, übernahm die Herrschaft über ihre Hände und eiste Finger um Finger von den Armlehnen los. Mit einem Prickeln fuhr sie in ihre Beine, spannte die Muskeln an, zwang Heidi aufzustehen und steif den Mittelgang hinabzugehen. Heidi versuchte noch immer, sich zu widersetzen, doch sie hatte so gut wie keine Macht mehr über ihren Körper. Sie spürte, wie ihre Hände ihren Körper betasteten und sie dann langsam auszogen, erst die Jacke, dann den Pullover, die Schuhe und Socken, bis sie nur noch das dünne durchsichtige Nachthemd trug. Sie blickte nach unten und sah, dass das Zeichen der Lords in dunkelroter Farbe oder Blut darauf gemalt war. Wann war das passiert?
» Heile mich, Satan«, hörte sie ihre Stimme sagen, während sie innerlich um Hilfe schrie. » Heile mich von den tödlichen Wunden, die der christliche Glaube mir zugefügt hat. Ich verachte alle Symbole des Schöpfers.«
Sie befand sich nun zwischen den anderen Frauen, tanzte und wiegte sich mit ihnen, ohne jegliche Kontrolle über ihren Körper. Die Gestalten auf der Bühne rissen ihre Masken herunter und entpuppten sich als Heidis Vermieterin Lacy und ihre beiden Schwestern Megan und Sonny. Aber Lacy war nicht Lacy, bemerkte Heidi, sondern Margaret Morgan. Wie konnte es sein, dass ihr das vorher nicht aufgefallen war? Und die beiden
Weitere Kostenlose Bücher