Lords und Ladies
Zügel sinken. Zuvor vereinbarte Überfälle durch autorisierte Repräsentanten der Räubergilde waren eine Sache. Aber er wollte sich auf keinen Fall von einem Winzling bedrohen lassen, der ihm kaum bis zum Gürtel reichte und nicht einmal eine Armbrust bei sich führte.
»Verdammter Wicht!« knurrte er. »Bist wohl auf eine Abreibung scharf, wie?«
Der Kutscher beugte sich vor.
»Was ist das auf deinem Rücken? Ein Buckel?«
»Ah, du hast die Trittleiter bemerkt. Ich möchte dir zeigen, was es damit auf sich hat…«
»Was geschieht jetzt?« fragte Ridcully in der Kutsche.
»Äh, ein Zwerg ist gerade auf eine Trittleiter gestiegen und hat den Kutscher an eine empfindliche Stelle getreten«, erklärte Ponder.
»So was erlebt man nicht jeden Tag«, sagte Ridcully fröhlich – die bisherige Reise war ziemlich ereignislos gewesen.
»Jetzt kommt der Zwerg hierher.«
»Gut.«
Der Wegelagerer schob sich am stöhnenden Kutscher vorbei, stapfte zur Kutsche und zog dabei die Trittleiter hinter sich her.
Er öffnete die Tür.
»Rückt euer Geld raus. Sonst sehe ich mich bedauerlicherweise gezwungen…« Ein oktariner Blitz riß ihm den Hut vom Kopf.
Der Gesichtsausdruck des Zwergs veränderte sich nicht.
»Erlaubt ihr mir vielleicht, mein Anliegen neu zu formulieren?«
Ridcully musterte die elegant gekleidete Gestalt. Er brauchte den Blick nicht weit zu senken, um vom Kopf bis zum Fuß zu gelangen.
»Du siehst nicht wie ein Zwerg aus«, stellte er fest. »Abgesehen von der Größe.«
»Abgesehen von der Größe?«
»Ich meine, ganz offensichtlich fehlen dir Helm und Stiefel aus Eisen«, sagte der Erzkanzler.
Der Zwerg verneigte sich und zog ein rechteckiges Stück Pappe aus dem schmutzigen, aber immerhin spitzenbesetzten Ärmel.
»Meine Karte«, sagte er.
Sie sah so aus:
Ponder Stibbons spähte über Ridcullys Schulter.
»Bist du wirklich ein unverschämter Lügner?«
»Nein.«
»Warum überfällst du Kutschen?«
»Weil ich von Halunken ausgeraubt worden bin.«
»Diese Karte bezeichnet dich als geschickten Schwertkämpfer«, sagte der Erzkanzler.
»Der Gegner war mir zahlenmäßig weit überlegen.«
»Wie viele griffen an?«
»Drei Millionen.«
»Steig ein«, meinte Ridcully.
Casanunda warf seine Trittleiter durch die Tür und blickte dann in das schattige Innere der Kutsche.
»Schläft da ein Affe?«
»Ja.«
Der Bibliothekar öffnete ein Auge.
»Was ist mit dem Geruch?«
»Er nimmt bestimmt keinen Anstoß daran.«
»Solltest du dich nicht besser beim Kutscher entschuldigen?« fragte Ponder.
»Nein. Aber ich könnte ihn noch fester treten, wenn er möchte.«
»Das ist der Quästor«, sagte Ridcully und deutete auf Beweisstück B. Der Zauberer unter dem weit über die Ohren gezogenen Hut schlief den Schlaf eines Mannes, der eine Überdosis getrockneter Froschpillen zu sich genommen hatte. »He, Quästor. Quääästor? Ist völlig weggetreten, der Bursche. Schieb ihn einfach unter den Sitz. Spielst du ›Leg Herrn Zwiebel rein‹?«
»Nicht sehr gut.«
»Prächtig!«
Eine halbe Stunde später schuldete Ridcully dem Zwerg achttausend Ankh-Morpork-Dollar.
»Meine Visitenkarte enthält einen deutlichen Hinweis«, sagte Casanunda. »Da steht’s: ›unverschämter Lügner‹.«
»Ja, aber ich dachte, das sei gelogen!«
Ridcully seufzte, und zu Ponders großer Überraschung holte er einen Beutel mit Münzen unter dem Umhang hervor. Sie sahen bemerkenswert echt aus und glänzten goldgelb.
Casanunda mochte ein lüsterner Söldner von Beruf sein, doch in genetischer Hinsicht war er vor allem ein Zwerg. Und Zwerge wußten um gewisse Dinge Bescheid.
»Hmm«, brummte er. »Auf deiner Visitenkarte steht nicht zufällig auch ›unverschämter Lügner‹, oder?«
»Nein!« erwiderte Ridcully aufgeregt.
»Es ist nur… Ich erkenne Schokoladentaler auf den ersten Blick.«
»Das erinnert mich an das berühmte logische Rätsel«, sagte Ponder, als die Kutsche am Rand einer Schlucht entlangruckelte.
»Welches logische Rätsel meinst du?« fragte der Erzkanzler.
»Nun…« Ponder genoß die ihm geltende Aufmerksamkeit. »Offenbar gab’s da einen Mann, der aus irgendeinem Grund zwischen zwei Türen wählen mußte. Ja, und der Wächter an der einen Tür sagte immer die Wahrheit, und der vor der anderen log dauernd. Wichtig ist auch noch: Hinter der einen Tür lauerte der sichere Tod, und die andere lockte mit Freiheit. Der arme Mann wußte nicht, welcher der beiden Wächter die Wahrheit
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