Loreley
verlangte zudem eine zweite Decke, um alle zu überzeugen, dass sie tatsächlich gewillt war, die Nacht hier zu verbringen.
Später, die Sonne war längst untergegangen und der Mond glänzte kalt am schwa r zen Himmel, entkleidete sie sich, zog ihre ledernen Reithosen über, dazu ein dickes, wollenes Wams und einen langen Umhang mit Kapuze. Sie öffnete die Tür einen Spal t breit und horchte hinaus. Stille lag über dem Turm. Die meisten Bediensteten w a ren daheim in den Hütten ihrer Familien. Baans Leibdi e ner und Fees Zofe, die einzigen, die Kammern im Turm bewohnten, hatten sich längst zurückgezogen. Fee hoffte, dass auch Baan mittlerweile eingeschlafen war.
Sie trat hinaus auf den Flur und zog leise die Tür hi n ter sich zu. Lautlos schlich sie die steinerne Wendeltre p pe hinab und schob den Riegel des Hauptportals beiseite. Die Nacht war kühl, Windstöße fegten über die Hoc h ebene. Fee huschte über den Vorplatz wie der Schatten eines Vogels im Mondlicht. Nahezu unsichtbar eilte sie hinüber zum Pferdestall.
Ein paar Rösser schnaubten leise, als Fee an ihnen v o rüberging. Hastig sattelte sie ihre weiße Stute und führte sie am Zügel ins Freie. Noch einmal schaute sie hinauf zum Fenster d es Gemachs, das sie sonst mit Baan teilte, und erkannte zufrieden, dass dahi n ter kein Kerzenlicht brannte.
Der Schimmel trug sie hinaus in die Ebene, nach Nordosten, durch windgepeitsc h tes Gras im weißen Schein des Mondes, fort vom Turm und dem mächtigen Wall des Kratersees.
Sie ritt fast die halbe Nacht hindurch und änderte zweimal die Richtung, weil sie befürchtete, in der endl o sen Einöde ihr Ziel zu verfehlen. Das Hochmoor, an de s sen Rand Baans Freund lagerte, war gewaltig, und bald schon erkannte sie es in der Ferne vor sich, ein weit ve r zweigtes Netz aus Wasseradern und Tümpeln, zwischen denen sich winzige Inseln erhoben. Der Mond entzog der Szenerie alle Farben. Verkrüppelte Sumpfbäume beugten sich vornüber, grau und blattlos wie eine Heerschar ve r steinerter Gerippe. Der Wind trieb leichten Schwefelg e ruch heran, vermischt mit dem Duft von Moos und feuc h tem Gras.
Fee zügelte ihr Pferd und schlug die Kapuze zurück, um sich besser umschauen zu können. Rechts von ihr, zwanzig, dreißig Speerwürfe weiter östlich, glühte ein heller Punkt in der Dunkelheit. Nach einer Weile erkan n te sie dahinter die schwarzen Umrisse von Zelten. Drei, wenn sie sich nicht täuschte.
Fee musste nicht mehr in ihr Inneres lauschen, um den Ratschlag des Anderen zu erfragen; endlich waren sie ineinander aufgegangen, untrennbar verwoben, und seine Gedanken waren die ihren. Sie wusste genau, was zu tun war.
Sie hieb ihrem Ross die Fersen in die Flanken und ließ das Tier galoppieren, bis sie die halbe Strecke zum Lager Ortolts zurückgelegt hatten. Dann verringerte sie die G e schwindigkeit, trabte noch ein Stück weiter, sprang schließlich aus dem Sattel und führte das Pferd zu Fuß weiter. Der weiche, wasserdurchtränkte Boden dämpfte ihre Schritte, schluckte sogar die Laute der Pferdehufe. Hin und wieder huschten kleine Tiere vor ihr durchs Gras, aus dem Schlaf geschreckt oder auf der Jagd nach Beute.
Sie konnte das Lagerfeuer jetzt deutlich vor sich s e hen, auch die drei hohen, mit Wappen geschmückten Ze l te. Zwei Männer saßen unweit der Flammen und flüste r ten miteinander. Fee band ihr Pferd an einen Strauch und legte das letzte Stück allein z u rück.
Ehe die beiden Wächter sie entdecken konnten, stieß sie eine spitze Tonfolge aus, so hoch, dass sie mit menschlichen Ohren kaum zu vernehmen war. Die Mä n ner fassten sich an die Schläfen, Entsetzen erschien auf ihren Gesichtern. Blutige Rinnsale scho s sen aus ihren Augen, den Ohren und Nasenlöchern. Als einer den Mund aufriss, quoll ein solcher Blutschwall hervor, dass sein Schrei in einem grässlichen Gurgeln erstickte. Gleichzeitig sackten die Männer zusammen und blieben reglos am Boden liegen. Einer fiel mit der Hand ins Fe u er, doch er spürte nicht mehr, wie die Flammen nach se i nen Fingern leckten und an seinem Ärmel hinauf zur Schulter krochen. Bald loderte der ganze Leichnam lic h terloh.
Zeltplanen flogen zur Seite und mehrere Männer sprangen ins Freie, brüllten aufg e regt durcheinander, packten Schwerter und Speere, blickten suchend ins Dunkel. Einer entdeckte Fee in der Dunkelheit, ein schwarzer, regloser Schemen mit wehendem U m hang. Er hob den Arm in ihre Richtung und wollte die anderen warnen, doch da
Weitere Kostenlose Bücher