Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Loreley

Titel: Loreley Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
Vom Netzwerk:
färbten sich seine Augen schon dunke l rot wie reife Kirschen, seine Hand ließ das Schwert fa l len, fuhr an seine Brust. Etwas in ihm zerriss, zerplatzte wie ein übervoller Wei n schlauch. Röchelnd sank er zu Boden, genauso wie all seine Gefährten. Das Feuer griff um sich, sprang auf weitere Körper über, setzte eines der Zelte in Brand.
    Ein einzelner Mann trat aus einem der unversehrten Zelte, mit Brustharnisch und weitem Mantel, auf seinem Kopf ein Helm mit blauem Federbusch. Ortolt hatte sich gerüstet, bevor er sich den vermeintlichen Gegnern stel l te; für einen Ritter gehörte es sich nicht, im Nachtgewand zu kämpfen.
    Rotgelber Feuerschein spiegelte sich im Visier seines Helmes und auf dem Metall seines Brustpanzers – es sah aus, als stünde er selbst in Flammen. Er blickte auf die Leichen seiner Begleiter herab, und Fee vermochte nur zu erahnen, was in ihm vorging. Ein dumpfer Aufschrei aus Zorn und Trauer drang unter dem Helm hervor, übe r tönte das Knistern der Flammen und sogar das angstvolle Wiehern der Pferde auf der anderen Seite der Zelte.
    Fee ließ Ortolt genug Zeit, um sie zu bemerken. Er zögerte einen Augenblick, suchte vergeblich nach weit e ren Angreifern. Dann machte er zwei, drei überhastete Schritte auf sie zu und blieb abermals stehen, nur noch drei Mannslängen von ihr entfernt.
    »Wer bist du, Hexe?«, brüllte er.
    Fee antwortete mit der Stimme eines kleinen Jungen. »Vater?«, fragte sie unschu l dig.
    Ortolt legte den behelmten Kopf schräg, lauschte.
    Abermals erklang die Stimme seines Sohnes. »Töte diese Hexe für mich, Vater! Sie hält meine Seele gefa n gen!«
    Ortolt stürmte los, mit lang gezogenem Kampfschrei und erhobenem Schwert. Fee lachte ihm ins Gesicht, höhnisch und kalt, und als er seine Schwertklinge kreisen ließ, stieß sie einen spitzen, scharfen Ton aus.
    Blut explodierte aus den Sehschlitzen des Helmes. Das Schwert flog in weitem Bogen davon. Ortolt brach im Laufen zusammen, schlug der Länge nach auf den Bauch. Sein Helm rollte in einem unmöglichen Winkel beiseite, als säße nichts mehr auf seinen Schultern, das ihm Halt gab. Der Körper des Ritters zuckte noch einen Augenblick lang, seine Finger öffneten und schlossen sich, dann erstarben seine Bewegungen.
    Fee raffte den Saum ihres Umhangs hoch und stieg über den Toten hinweg. Das zweite Zelt hatte ebenfalls Feuer gefangen und die Kleidung der meisten Leichen bran n te. Fee nahm einen lodernden Ast aus dem Feuer, entzündete auch das letzte Zelt und die unversehrten T o ten, hob einen Dolch auf und ging hinüber zu den Pfe r den. Die Tiere standen kurz vor einer Panik, stampften mit den Hufen, stießen schnaubend Luft aus ihren Nü s tern. Fee zerschnitt ihre Zügel und sah zu, wie die Rösser hinaus in die Finsternis preschten, fort vom Moor, als witterten sie, dass dort der Tod auf sie lauerte.
    Zuletzt ging sie zurück zu ihrem Schimmel, schleude r te den Dolch in ein Wasserloch und zog sich in den Sa t tel.
    Das Fanal des brennenden Lagers wütete hinter ihr am Horizont wie ein feuriger Sonnenaufgang, doch als der Tag tatsächlich anbrach, lag sie längst in ihrem Bett und träumte. Träumte von Felsen und Gittern und von Baans zärtlicher Berührung.
     
    Der Pfeiferkönig hatte zur großen Versammlung geladen und die meisten Spielleute folgten ergeben seinem Ruf.
    Das Treffen fand auf einem Hügel statt, irgendwo im Odenwald, wo es weithin nichts gab als dichtes, unwe g sames Dickicht. Nur ein einziger Pfad führte hierher, für jene, die sich nicht auf die Benutzung der Spielmann s wege verstanden. Alle anderen aber erschienen nach und nach wie aus dem Nichts, standen plötzlich da, vom Hauch einer verklingenden Melodie umgeben.
    Der Hügel bildete eine große, nahezu kreisrunde Lic h tung. Auf seiner Kuppe war aus frisch gefällten Bäumen ein Podest errichtet worden, auf dem der Pfeiferkönig saß und Hof hielt. Nach und nach trat jeder der Anwesenden vor ihn und entrichtete einen gewissen Münzbetrag als jährlichen Tribut an die Zunftgemeinschaft. Manche b a ten auch um Ratschläge oder Freundschaftsdienste, and e re, die krank oder verletzt waren, um Zuwendungen aus dem Zunftvermögen.
    Ailis und ihre Begleiter erreichten den Hügel am fr ü hen Morgen. Sieben Tage war es her, dass Ailis Burg Rheinfels verlassen hatte, und keine Nacht war verga n gen, in der sie nicht wachgelegen und an Fee, Erland und die Naddred gedacht hatte. Sie kam sich vor wie eine Verräterin, schuldig an

Weitere Kostenlose Bücher