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Loreley

Titel: Loreley Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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zwischen dem Pfuhl und« – sie zeigte mit einer Grimasse den Hang hinab – »dem da!«
    Buntvogel drückte seine Sackpfeife an sich wie ein Neugeborenes. »Sei froh, dass es wenigstens auf den er s ten Blick friedlich wirkt. Meine Knie fühlen sich auch so schon an, als wären sie aus Reisig.«
    Von ihm hatte sie ein solchen Geständnis am wenig s ten erwartet. Sogleich schwand ihre zarte Hoffnung d a hin. Wenn ein Tausendsassa wie Buntvogel Angst hatte, dann war Sorge zweifellos angebracht.
    Der Trupp machte sich auf den Weg den Hang hinab, und einer nach dem anderen stimmten die Spielmänner eine frohl iche Melodie an, einen harmlosen Bauerntanz, der den Mägden und Knechten dort unten gefallen moc h te. Bald wurden die ersten auf sie aufmerksam, zeigten auf sie und lachten. Ein paar Kinder, zu jung, um selbst schon mitzuarbeiten, lösten sich aus einer der Stallungen und stürmten ihnen entgegen, hüp f ten freudig um sie herum und zupften an der bunten Kleidung der Spielle u te. Eine Magd kam auf sie zu, machte vor Buntvogel e i nen spöttischen Knicks und steckte ihm eine getrocknete Blume hinters Ohr. Der Musikant zwinkerte ihr zu, war ansonsten aber vollauf damit beschäftigt, die Sackpfeife zu bedienen.
    Ailis ging schweigend zwischen ihren Gefährten. Sie sang nicht und spielte nicht. Inmitten all dieses Frohsinns starrte sie mit finsterem Blick zum Eingang des Turms und erwartete jeden Moment, Fee zu sehen, die sich aus der dunklen Öffnung löste und ins Tageslicht trat.
    Aber Fee zeigte sich nicht. Statt ihrer kam ein junger Mann die Stufen herunter, gekleidet wie ein Landadel i ger, mit langem Haar und Reitstiefeln – Baan. Er trug weder Umhang noch Hut, wie es die Edelleute in den Städten taten, wenn sie sich unter ihre Untertanen misc h ten. Tatsächlich hob er sich kaum von seinen Bedienst e ten ab, mit dem einzigen Unterschied, dass seine Kle i dung reinlich und seine Sprache gewählt und deutlich war.
    »Spielleute in unserer Gegend?«, rief er ihnen erfreut entgegen. »Das ist ein selt e nes Glück.«
    Die Musikanten beendeten ihren Tanz und verbeugten sich tief.
    »Wie lange gedenkt ihr, uns zu beehren?«, wollte Baan wissen.
    Ailis fragte sich, ob er sich an sie erinnern würde. Aber nein, sie war ihm nur einmal über den Weg gela u fen, man hatt e sie ihm niemals vorgestellt. Er würde sie für eine einfache Spielmannsgöre halten.
    »Wir bleiben so lange Ihr in Euren Ställen ein Plät z chen für uns findet«, entgegnete Jammrich, der sich wi e der einmal eilig zum Wortführer der Gruppe empo r schwang.
    »Macht euch darum keine Sorgen«, entgegnete Baan höflich. »Wollt ihr uns heute Abend zum Tanz aufspi e len? Wir alle wären hocherfreut.«
    Jammrich verbeugte sich ein zweites Mal. »Es kommt nicht oft vor, dass wir so freundlich aufgenommen we r den, Herr.«
    »Nach dem langen Weg, den ihr hinter euch gebracht habt?« Baan schüttelte l a chend den Kopf. »In weitem Umkreis gibt es keinen Ort, der sich für euch und euer Spiel lohnen würde. Sagt, ist es Zufall, dass es euch g e rade hierher verschlagen hat?«
    »Wir bereisen jeden Teil des Landes, Herr, und dieser hier ist so gut wie jeder and e re. Gibt es keinen, der uns ein warmes Mahl anbietet, so essen wir eben Beeren oder jagen ein Kaninchen. Oh, verzeiht«, meinte er und tat erschrocken, »ich hoffe, Ihr haltet uns nicht für Wild e rer.«
    »Wegen eines Kaninchens? Gott bewahre!« Baan wandte sich an seine Bedienst e ten, die sich mittlerweile in großer Zahl hinter ihm versammelt hatten. Nur von Fee gab es noch immer keine Spur. »Verbreitet die Ku n de, dass Musikanten unter unserem Dach verweilen. Heute Abend soll ein Fest stattfinden.« Er legte seinem Verwalter vergnügt die Hand auf die Schulter. »Guntram, lass ein neues Weinfass anschlagen! Heute wollen wir feiern!«
    Jubel antwortete ihm aus dem Pulk der Knechte und Mägde, und sogleich lief alles aufgeregt auseinander. Auch Guntram verschwand im Eingang des Turmes.
    »Man wird ein warmes Fleckchen im Stall für euch herrichten«, sagte Baan und schaute die Spielleute rei h um an. Dabei fiel sein Blick auch auf Ailis, doch sie sah kein Erkennen in seinen Augen. »Ihr sollt es euch bei uns zwei, drei Tage lang wohl ergehen lassen, wenn eure Reise nicht eilt.«
    »Gewiss nicht, Herr«, erwiderte Jammrich und zog im Verein mit den anderen die Mütze.
    »Wohlan«, sagte Baan und winkte angesichts der Dankesbezeugung beiläufig ab, »mir scheint, dann ist alles gesagt.

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