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Loreley

Titel: Loreley Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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nickte. »Es ist wegen deiner Freundin.«
    Tränen traten in ihre Augen, obwohl sie dagegen a n kämpfte. »Ich habe keine A h nung, was aus ihr geworden ist. Ich bin hier bei euch, in Sicherheit, aber Fee …? Ich habe gesehen, wozu das Echo im Stande ist, und ich … ich – «
    »Du hast ein schlechtes Gewissen«, unterbrach er sie.
    »Ja, sicher.«
    »Und du weißt nicht, was du jetzt tun sollst.«
    »Was könnte ich allein schon unternehmen?«
    Buntvogel spielte nachdenklich mit einem der Glöc k chen an seinen Ohren. »Wir sind deine Freunde, Ailis. Wenn du unsere Hilfe brauchst, sind wir für dich da. Jetzt noch mehr als zuvor. Deshalb war ich dafür, dass du zum Mitglied der Zunft wurdest. Die anderen können sich jetzt nicht länger sträuben.«
    »Du meinst – «
    Abermals fiel er ihr ins Wort. »Ja«, sagte er lächelnd und nickte. »Wir werden dir helfen zu erfahren, wie es deiner Freundin ergangen ist.«
    Sie fiel ihm vor Freude um den Hals, sodass er im Si t zen nach hinten kippte und sie mit sich ins Gras zog. E i nen Augenblick lang waren ihre Gesichter ganz nah be i eina n der und sie schauten einander überrascht an, dann löste Ailis sich verlegen von ihm und sank zurück in den Schneidersitz. »Wann?«, fragte sie nur.
    »Ich werde mit Jammrich und den anderen reden«, sagte Buntvogel und rappelte sich ebenfalls auf. »Wenn nichts dazwischen kommt und Sankt Suff sich mit dem Bier zurückhält, können wir morgen früh aufbrechen.«
    »Ihr wisst, was das Echo anrichten kann.«
    »Gewiss. Und noch spricht niemand davon, es herau s zufordern. Aber wir wollen doch wenigstens einen Blick auf deine Freundin werfen.« Sein Lächeln verblasste, als er leiser hinzufügte: »Vorausgesetzt, sie ist noch deine Freundin.«

6. Kapitel
     
    D ie Melodie riss sie aus der Wirklichkeit und schleuderte sie in das magische Chaos der Spielmannswege. Ailis fühlte, dass die anderen bei ihr waren, sah auch Bilder von ihnen, aber mittlerweile wusste sie, dass es nur Eri n nerungen waren, die der Zauber der Melodie in ihrem Kopf wachrief und neu für sie zusammensetzte.
    Der Tunnel aus Farben und Lichtern, der rund um sie vorüberglitt, war nichts als ein schlichtes, unvol l kommenes Bild für etwas, das sich in Wahrheit gar nicht bebi l dern ließ, eine Zwischenwelt aus Tönen, die andere Menschen nicht wahrnehmen konnten. Die M e lodie hinter der Melodie gerann hier zu etwas Räuml i chem, wenn auch nicht Greifbarem, und Ailis begriff mehr und mehr, was Jammrich gemeint hatte, als er ihr bei einem ihrer Sprü n ge durch die Spielmannswege erklärt hatte: Alles, was uns hier umgibt, ist reiner Klang. Nur indem wir ein Teil davon werden und le r nen, welche Töne das Netz der Wege öffnen und uns zurück in die Wirklichkeit bringen, können wir vers u chen, es zu nutzen.
    Was, wenn ich euch auf den Wegen verliere?, hatte sie gefragt.
    Du würdest bis in alle Ewigkeit umherirren, unfähig, die Klangfolge der Melodie alleine zu Ende zu führen und einen Ausgang zu finden. Die Melodie muss stets einen Anfang u nd ein Ende haben. Hat sie das nicht, e r klingt sie weiter bis in alle Ewigkeit und reißt den, der in ihr gefangen ist, mit sich ins Unendliche.
    Doch die anderen ließen nicht zu, dass Ailis von ihnen getrennt wurde. Mit ihren Instrumenten schufen die Spielmänner einen Wall aus Musik, der sie vorwärts trieb und zugleich beschützte wie der Rumpf eines Schiffes im Sturm.
    Sie verließen die Spielmannswege am Rande eines Sees. Die Töne verklangen, die Farben verblassten, und Ailis Füße fühlten sich wieder einmal an, als hätte ein Riese versucht, sie in den Boden zu rammen. Doch der Schmerz verging geschwind, und nach einem weiteren Augenblick hatte sie sich soweit in der Gewalt, dass sie sich aufmer k sam umschauen konnte.
    Der See war kreisrund, wie mit einem Zirkel gezogen, und rundherum wuchs ein grasbewachsener, von Felsen durchbrochener Hang in die Höhe.
    »Was ist das für ein sonderbarer Ort?«, erkundigte sich Ailis.
    Springsfeld ging am Ufer in die Hocke und hielt einen Finger ins Wasser. »Ei s kalt«, murmelte er.
    Der Himmel über ihnen war hellgrau, fast weiß. Die Sonne stand unsichtbar über dem Dunst und brachte ihn zum Leuchten. Vereinzelte Krähen segelten auf Win d stößen dahin, die am Boden kaum zu spüren waren. Die Oberfläche des Sees war nahezu unbewegt. Sie reflektie r te die Helligkeit des Himmels und gab sich trotz der Ja h reszeit den Anschein einer Eisfläche.
    »Ich kenne Orte

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