Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Loreley

Titel: Loreley Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
Vom Netzwerk:
wie diesen«, sagte Wirrsang, und sein Bruder Feinklang nickte bestätigend. »Es gibt nicht viele davon in unseren Landen. Es heißt, diese Seen seien einst die Schlünde Feuer speiender Berge gewesen. Irgen d wann, vor tausend oder noch mehr Jahren, sind sie ve r siegt und haben sich mit Wasser gefüllt.«
    Ailis blickte über die Wasseroberfläche, die so glatt und unscheinbar vor ihnen lag, und sie schauderte. »So tief!«, flüsterte sie, beeindruckt, aber auch ein wenig b e unr u higt. Wer wusste schon, was für Wesen in solchen Gewässern lauerten?
    »Man erzählt sich, der Grund reiche hinab zum Herzen der Welt«, erklärte Wir r sang unheilschwanger. »Wenn also jemand ein Bad nehmen will …«
    Sankt Suff schüttelte den Kopf und seine zahllosen Kinnwülste bebten. »Ich meine, wir sollten rasch wieder von hier verschwinden.«
    »Kommt nicht infrage«, widersprach Buntvogel. »Wir sind hier, weil wir es Ailis versprochen haben.«
    Sie suchte immer noch nach einem Hinweis auf ein Gebäude oder gar eine Stadt. »Aber was, um alles in der Welt, sollte Fee denn hier zu suchen haben?«
    Jammrich beruhigte sie. »Das Anwesen des Ritters liegt auf der anderen Seite der Hänge.« Er schaute sich einen Moment lang um und wies dann nach Südwesten, über den Kraterrand hinweg. »Dort, wenn ich mich nicht tä u sche.«
    »Du warst schon hier?«, fragte Ailis erstaunt.
    Er grinste. »Es gibt wenige Orte, an denen ich noch nicht war, Kindchen.«
    »Stolzer Gockel!«, rügte ihn Buntvogel.
    Jammrich lächelte nur und machte sich auf den Weg. Die anderen folgten ihm. Ailis ging an seiner Seite.
    »Vielleicht solltest du dem Turm des Ritters lieber fernbleiben«, sagte er nachden k lich. »Wenn das Echo dich erkennt, u nd das wird es zweifellos, wird es gewiss nicht allzu erfreut sein.«
    Sie schüttelte entschlossen den Kopf. »Kommt nicht infrage. Ich bin hier, um nach Fee zu sehen, und dabei bleibt es. Das bin ich ihr schuldig.«
    »Ihr vielleicht, aber nicht dem Echo«, widersprach der Spielmann. »Deine Freundin ist längst nicht mehr sie selbst.«
    Sie lächelte gezwungen. »Du verstehst es, einem Hoffnung zu machen.« Entschlo s sen fügte sie hinzu: »Ich komme trotzdem mit.«
    Sie wusste, dass sie damit wahrscheinlich einen du m men Fehler beging, der nicht nur ihr selbst, sondern auch ihren Freunden Ärger einhandeln mochte. Aber die si e ben Spielleute wussten, auf was sie sich eingelassen ha t ten, und Ailis hatte das Gefühl, als genössen die meisten von ihnen den Kitzel der Gefahr.
    Die sieben Männer hielten ihre Instrumente, als seien sie Waffen. Ailis’ Hände hi n gegen waren frei. Sie hatte mehrere Schlaufen an ihrer Schwertscheide befestigt und die Flöte hineingesteckt; wer nicht genau hinsah, konnte sie für einen Bestandteil der Scheide halten.
    Mühsam stiegen sie den Hang hinauf, und endlich s a hen sie vom Kamm des Krate r randes aus den Bergfried des Ritters Baan. Knechte und Mägde liefen zwischen den Schuppen am Fuß des Turmes umher, ein Schäfer trieb gerade seine Herde vorüber. Vor der riesigen Hoc h ebene im kargen Herzen der Eifel wirkte das Anwesen wie ein letzter Außenposten am Rande völliger Leere. Das Land war so weit und unwirtlich, dass sich die Vo r stellung, Fee müsse hier leben, wie eine Faust um Ailis’ Herz krallte.
    Aber Fee lebt vielleicht gar nicht mehr, schalt sie sich.
    Und wieder erinnerte sie sich an das Mädchen im Schacht, d as zu einer Wolke aus Staub zerfallen war, als das Echo seinen Leib verlassen hatte. Da war nichts mehr gewesen, was das Kind hätte weiter am Leben halten können. Nichts von seiner früh e ren Persönlichkeit. Nur totes, unbeseeltes Fleisch.
    Gepeinigt von solchen Gedanken und umgeben von all dieser Ödnis, kam Ailis der einsame Turm beinahe einl a dend vor. Kein Anzeichen sprach für die Anwesenheit des Echos, kein Hauch von Verderbtheit, keine aufg e spießten Tiere auf Giebeln und Fa h nenstangen. Ein leiser Hoffnungsschimmer glomm in ihr auf, als sie das arglose Treiben der Bediensteten beobachtete. Der Schäfer pfiff im Vorbeiziehen ein Lied, das der Wind den Hang he r auftrug. Stallburschen bürsteten Pferde und führten sie zur Tränke. Ein Knecht kniff einer kichernden Magd ins Hinterteil.
    »Seid ihr sicher, dass wir hier richtig sind?«, fragte sie misstrauisch.
    »Was hast du erwartet?«, gab Jammrich zurück. »E i nen Höllenpfuhl voller Leichen, über dem deine Freundin auf einem Thron aus Knochen Hof hält?«
    »Irgendetwas

Weitere Kostenlose Bücher