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Loreley

Titel: Loreley Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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die Gewissheit grenzenloser Überlegenheit.
    Einer, wohl der Anführer, riss beide Arme hoch, streckte sie hinauf zum Himmel, hinauf zum Mond! Se i ne Lippen murmelten stumme Worte, Beschwörungen.
    Buntvogel stieß seinen Dolch vor, rammte ihn in die Kutte eines Naddred. Ailis ha t te vieles erwartet – dass die Klinge ohne Widerstand durch den Mann hindurc h fahren oder der Stahl bei der Berührung zu Staub zerfa l len würde –, aber niemals hätte sie angenommen, dass der Naddred einfach zusammenbrechen würde. Und doch – der Druide kreischte gequält auf, seine Kapuze glitt zurück und entblößte einen kahlen, weißen Schädel, der sich kaum von der knochigen Kugel d es Mondes unte r schied. Dann sank er zusammen, während dunkles Blut über Buntvogels Finger spritzte.
    Springsfeld hatte weniger Glück. Sein Gegner tauchte unter seinem Schwerthieb hinweg und packte den Spie l mann am Gürtel. Springsfeld schrie, als der Druide ihn wie eine Strohpuppe vom Boden riss. Das Schwert en t glitt seiner Hand, er strampelte mit Armen und Beinen. Der Naddred hob ihn hoch über seinen Kopf, als besäße er nicht das mindeste Gewicht, und drehte sich mit ihm zum Schacht und dem unheimlichen Mondfeuer um. G e rade wollte er Springsfeld in die lodernde Glut schle u dern, als der stumme Feinklang seinen Dolch zwischen die Schulterblätter des Druiden rammte. Der Gaukler fiel schreiend zu Boden, verfehlte nur knapp den Schacht und die Flammen. Feinklang sprang zurück, während der Naddred vorwärts taumelte, geradewegs ins Feuer. Das Licht schloss sich um ihn wie ein Vorhang. Dann raste plötzlich etwas Dunkles aus dem Schacht empor zum Himmel, durch das Innere der tobenden Flammen wie durch einen Tunnel aus gleißender Helligkeit. Die Spi t zen des Feuers spien etwas hinaus in die Nacht, einen wabernden Schatten wie ein Vogel, der so blitzschnell davonglitt, dass das menschliche Auge ihm nicht zu fo l gen vermochte.
    Einige Herzschläge lang waren alle Kämpfe zum E r liegen gekommen, während Spielleute und Naddred hi n auf zum Nachthimmel blickten und sahen, wie die Flammen mit einem dumpfen Zischen höher schossen, ein heftiger Schub, der sie ihrem Ziel, dem Mond, noch näher brachte.
    Ailis war gewiss nicht die Einzige, die begriff, was die Naddred planten – auf alle Fälle aber war sie die erste, die den anderen eine Warnung zuschrie:
    »Sie wollen sich opfern! Sie wollen sterben! Ohne sie werden die Flammen niemals den Mond erreichen. Ihr müsst sie vom Feuer fernhalten!«
    Sie schwang ihr Schwert, vergaß alle Zweifel und Ängste und drang entschlossen auf einen Druiden ein, der sie um fast zwei Haupteslängen überragte. Ihre Kli n ge zuckte vor, verfehlte seinen Bauch, schnitt aber durch die Falten der Robe und wurde einen Moment lang von dem Stoff behindert. Die Faust des Naddred raste vor und traf Ailis’ Wange. Sie stolperte zurück, riss dabei ihr Schwert aus dem Stoff und fiel nach hinten. Vor Schme r zen schreiend kam sie auf einer Felskante auf.
    Der Naddred setzte nicht nach. Stattdessen drehte er sich um und machte zwei, drei rasche Schritte auf das Feuer zu. Die Flammen zischten, als der Mann darin ve r schwand. Dann sauste erneut ein Schemen in die Höhe, verpuffte in der Dunkelheit, während das Feuer dank neuer Nahrung abermals himmelwärts loderte.
    Mehrere Druiden wollten es den beiden ersten gleic h tun, doch die Spielleute ran n ten nur noch heftiger gegen sie an, jetzt klar in der Überzahl.
    Der Anführer, der die Arme noch immer zum Mond erhoben hatte, war bisher u n behelligt geblieben, doch nun nahm sich Buntvogel seiner an. Der Halbmohr stieß einen fremdländischen Kampfruf aus, dann sprang er um das Feuer herum und trieb den Naddred mehrere Schritte zurück. Ailis konnte nicht sehen, was geschah, befanden sich doch die Flammen genau zwischen ihr und den be i den Kämpfenden. Dann aber ertönte ein gellender Schrei und Buntvogel taumelte zur Seite. Sein eigener Dolch, lang und fein geschliffen, steckte ihm in der Kehle wie ein exotisches Schmuckstück. Mit gurgelnden Gerä u schen brach er in die Knie, Blut schoss zwischen seinen Lippen hervor, sprühte ins Feuer.
    Die Flammen leckten danach, pflückten jeden Tropfen mit gleißenden Fingern aus der Luft. Eine Woge schien durch das Feuer zu rasen, dann brach eine helle Schliere zur Seite aus, berührte den sterbenden Buntvogel und setzte ihn in Brand. In einem ble n denden Fanal sprangen die Flammen auf den ganzen Körper des Spielmanns

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