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Loreley

Titel: Loreley Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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fast den Atem abschnürte. Ailis hatte die Notwendigkeit der Reise zum Lurlinberg eing e sehen, aber die Vorstellung, den unhei m lichen Männern in ihren Kapuzenmänteln noch einmal gegenüberzutr e ten, verwandelte ihr Blut in Eiswasser. Sie fror am ga n zen Körper, und das lag nicht allein an der kühlen Nach t luft und dem Wind, der über die Bergkämme blies.
    Es gab keinen Plan. O, natürlich, sie hatten sich die Köpfe über Strategien zerbrochen, hatten allerlei Takt i ken ersonnen und voreilige Beschlüsse gefasst, doch am Ende hatten sie alle Ideen wieder verworfen. »Wir gehen hin«, hatte Sankt Suff entschlossen verkündet, »schlagen ihnen die Schädel ein und verschwinden wieder.« Ailis dachte, dass Schädel einschlagen Sankt Suffs Liebling s beschäftigung sein musste, so oft wie er davon sprach.
    Acht gegen acht, darauf lief es hinaus. Ailis und die sieben Spielleute auf der einen Seite, die acht Druiden auf der anderen. Es war lächerlich, und es verstörte Ailis, dass niemand außer Jammrich den Irrwitz des Ganzen zu erkennen s chien, nicht einmal Buntvogel, den sie bislang für den Vernünftigsten von allen gehalten hatte. Aber der Halbmohr fühlte sich offenbar zum Helden berufen, und Ailis hatte die üble Befürchtung, dass er glaubte, ihr d a mit imponieren zu können.
    Wie konnten sie nur alle so blind sein?
    Der Trupp setzte sich in Bewegung, gebückt, jeden Busch und jede Bodensenke als Deckung ausnutzend. Die Quelle des Feuerscheins war noch immer nicht zu erkennen, zu viele Reste der alten Festungsanlage ve r wehrten die Sicht. Ailis bemerkte einen fremdartigen Geruch, nicht einmal unangenehm, der sie an exotische Kräuter erinnerte, die einmal von Händlern im Burghof feilgeboten worden waren. Die Erinnerung an einst, an ihr früheres Leben, versetzte ihr einen Stich, und das ve r störte sie nur noch mehr – sie hätte nie gedacht, dass sie ihrem Dasein auf der Burg einmal nachtrauern würde. Aber alles war besser als das hier.
    Sie wechselte einen Blick mit Jammrich. Er war bleich, seine Züge eingefallen. Seine Sackpfeife war noch immer vor seinen Bauch geschnallt; er hatte eine Hand auf dem unförmigen Balg liegen. In der anderen hielt er jetzt ein schmales Kurzschwert. Ailis wusste nicht, wie gut er damit umzugehen verstand. Er hatte sich geweigert, mit ihr zu üben, und das ließ darauf schließen, dass er nicht gerade ein Meister im Kampf mit der Klinge war.
    Sie erreichten den Ostrand des Ruinenfeldes. Die Spi t ze der Felszunge, auf der sich einst die vorzeitliche Wehranlage erhoben hatte, lag höher als der Rest des Plateaus, was die Sicht darauf erschwerte.
    Buntvogel und Springsfeld waren die Ersten, die die niedrige Böschung erklommen, über die früher eine Ve r teidigungsmauer gewacht hatte. Von der Mauer waren heute nur n och Trümmer übrig. Hinter zweien dieser Überbleibsel gingen die beiden Spielmänner in Deckung, winkten die anderen lautlos heran.
    Ailis blieb an Jammrichs Seite. Eilig bückten sie sich hinter ein efeuumranktes Stück Mauerwerk. Sie sprachen nicht miteinander; jeder wusste auch so, was der andere empfand – Furcht und Hilflosigkeit. Natürlich musste etwas gegen die Naddred unte r nommen werden, aber warum waren ausgerechnet sie diejenigen, die das in die Hand nehmen sollten?
    Die Frage war ebenso überflüssig wie alle anderen, die Fügungen des Schicksals in Zweifel stellten. Zufall, war die Antwort. Eine Kette entsetzlicher Zufälle.
    Einmal berührte der spindeldürre Spielmann ganz kurz ihre Hand, und die Geste mochte alles Mögliche bede u ten: Aufmunterung, Beruhigung, vielleicht auch einen Abschied. Ailis fragte sich, ob Jammrich fliehen würde, falls die Lage zu gefährlich wurde. Ja, dachte sie übe r zeugt, natürlich wird er fliehen. Und wenn ich klug bin, m a che ich es genauso. Nur, dass ich nicht in der Lage bin, das Tor der Spielmannswege zu öffnen.
    Buntvogel hob den Kopf und spähte über den Maue r rand zum Feuerschein hinüber. Dann warf er Ailis einen Blick zu und gab ihr mit einem Nicken zu verstehen, gleic h falls hinzuschauen. Irgendetwas war da, das er nicht verstand.
    Ailis zögerte nur für einen Moment, dann erhob sie sich langsam aus den Knien in die Hocke, streckte ihren Oberkörper. Ein paar Schritte vor ihr erhob sich eine hüfthohe Steinformation, mit Moos und Pilzen überw u chert, die ihr einen Teil der Sicht versper r te. Dennoch erkannte sie, was Buntvogel so verwirrte.
    Aus der Öffnung des Felsenschachts,

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