Loreley
über, verzehrten ihn wie einen trockenen Zweig. Inne r halb eines Atemzuges war er ve r schwunden.
Und wieder loderten die Flammen höher, dem stu m men, reglosen Mond entgegen.
Ailis schrie auf. Zorn und Schmerz übernahmen ihre Reaktionen, trieben sie vo r wärts, um das Feuer herum, an Wirrsang und Feinklang vorüber, die einen Naddred in ihre Mitte genommen hatten und auf seine bloßen, a b wehrend hochgerissenen Arme einhackten.
Der Anführer stand da, als sei nichts geschehen, die Hände erhoben, als wollte er den Mond mit gekrümmten Fingern aus der Schwärze reißen. Ailis holte mit dem Schwert aus, wollte zuschlagen, als sie einen Schwall glühender Hitze in ihrem Rücken spürte. Etwas atmete in ihren Nacken!
Doch als sie herumfuhr, um sich dem Gegner zu ste l len, war da nichts als weiße Glut, die sie blendete und ihr fast die Augen aus dem Schädel brannte. Sie war zu nahe ans Feuer geraten! Aber wie konnte das sein? Sie hatte doch einen großen Bogen um die Flammen geschlagen!
Egal, sie musste es nicht verstehen, musste nur en t kommen! Sie taumelte zur Seite, entging um Haaresbre i te einer heranfauchenden Feuerlohe, ließ sich zu Boden fallen und schlug zugleich mit ihrer Klinge in die andere Richtung. Die Schneide biss in Widerstand, hieb ins Schienbein des Naddred-Anführers. Der Mann brüllte auf, und sogleich zogen sich die Flammen, die nach Ailis geleckt hatten, zurück. Der Druide brach in die Knie, starrte Ailis an, fiel dann nach vorne auf Brust und G e sicht. Seine Hand schoss vor, bekam Ailis’ rechten U n terarm zu fassen und hielt ihn fest. Sie ve r suchte sich loszureißen, von panischer Angst erfüllt, doch der Griff des Naddred war zu stark. Mit der Linken riss sie das Schwert aus der gefangenen Hand, holte unbeholfen aus und ließ die Klinge auf den Arm des Druiden herabfa h ren. Die Schneide drang durch Haut und Muskeln, ließ die morschen Knochen zerbersten. Die Finger des Ma n nes lösten sich, doch noch immer schrie er nicht, hob nur den Kopf vom Boden und sah sie aus unendlich traurigen Augen an. Kein Zorn, kein Hass. Nur Trauer.
Überrascht wich Ailis zurück. Mit schwankenden B e wegungen kroch sie auf Knien und Händen rückwärts, entfernte sich von dem Naddred. Sie hätte ihn in diesem M o ment erschlagen können, ohne jede Mühe, aber sie brachte es nicht über sich. Sie hatte noch nie einen Me n schen getötet, und sie war völlig arglos in dieses Abe n teuer geschlittert, ohne einen Gedanken daran zu ve r schwenden, ob sie überhaupt die Kraft besaß, das Leben anderer zu vernichten.
Aber, durchfuhr sie die Erkenntnis, der Naddred hatte Buntvogel getötet. Mochte jetzt auch noch so große Wehmut in seinen Augen stehen, er hatte ihren Freund ermo r det!
Noch immer schaute der Anführer sie an, bewegte sich nicht. Er würde in Kürze an seinen Wunden verbluten. Aus seinem Armstumpf ergoss sich eine dunkelrote Flut und versickerte in haarfeinen Spalten im Felsboden. I m mer wieder lösten sich fingerlange Flammen aus dem Feuer, tanzten wie Irrlichter über den Felsboden, erreic h ten die Blutpfütze, loderten gierig auf und vergingen in ihrer eigenen Glut.
Ailis dachte an Buntvogels fassungsloses Gesicht. An den Dolch in seiner Kehle. Das Grauen in seinen Augen.
Sie packte das Schwert fester und traf eine Entsche i dung. Kraftlos schleppte sie sich erneut auf den Naddred zu, holte aus –
Hinter ihr ertönten in kurzem Abstand zwei Schreie. Als sie herumfuhr, sah sie nacheinander zwei dunkle Schemen durch die Flammen gen Himmel rasen. Das Feuer zuckte höher. Es würde den Mond bald erreichen.
Drei erschlagene Naddred lagen auf der anderen Seite des Schachts am Boden. Ailis’ Blick raste über die G e sichter ihrer Gefährten. Zwei fehlten. Samuel Auf-und-Dahin und Wirrsang waren von ihren Gegnern in die Flammen gestoßen worden.
Tränen liefen über Ailis’ Wangen, als sie sich wieder dem sterbenden Anführer z u wandte. Er hatte jetzt auch seine gesunde Hand nach ihr ausgestreckt, doch statt nach ihr zu greifen, hielt er ihr mit schwindenden Kräften etwas entgegen. Erst dachte sie, eine Blutpfütze hätte sich in seiner Hand gesammelt. Dann erkannte sie den Rubin. Das Schlangenauge. Eberharts Vermächtnis.
Einen Augenblick zögerte sie, danach zu greifen, doch als sie es schließlich tat, schlossen sich die Finger des Druiden darum. Sie verstand. Er bot ihr einen Handel an. Für sie den Stein, für ihn den freien Weg in die Fla m men. Selbst im Tod wollte
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