Loreley
er noch seiner Sache dienen.
Ailis riss das Schwert hoch und enthauptete ihn.
Das Leben in den traurigen Augen erlosch. Der Stein fiel aus seiner zuckenden Hand, rollte über den Fels auf Ailis zu. Sie hob ihn auf, holte aus und schleuderte ihn über den Rand des Plateaus, hinab in die Fluten des Rheins. Sie sah das funkelnde Kleinod im Dunkeln einen weiten B o gen ziehen, dann verschwand es in der Tiefe.
Jammrich und Sankt Suff setzten einem Gegner nach, der versuchen wollte, sich über das Ruinenfeld in Siche r heit zu bringen; offenbar war der Glaube an ihr Ziel nicht in allen Naddred gleich tief verwurzelt.
Feinklang war die Trauer um seinen toten Bruder deu t lich anzusehen. Erbittert rang er mit einem Gegner, hatte beide Hände um dessen Hals gekrallt, während der Druide versuchte, ihn mit Hieben gegen Brust und Bauch von sich fortzudrängen.
Soll das die gefürchtete Macht der Naddred sein?, dachte Ailis fassungslos. Schläge und Davonlaufen?
Sie sprang auf und lief erneut um das Feuer, um Fei n klang zu Hilfe zu kommen. Der Hass verlieh dem stu m men Spielmann übermenschliche Kräfte, doch auch der Naddred verfügte über enorme Stärke. Noch während Ailis auf die beiden zutaumelte, gelang es dem Druiden, Feinklangs Umklammerung zu sprengen und den Mus i kanten von sich zu stoßen. Feinklang riss den Mund auf, als wollte er einen zornigen Schrei ausstoßen, doch kein Ton kam über seine Lippen. Statt seiner brüllte Ailis auf, als sie sah, wie ihr Gefährte auf dem glatten Fels au s rutschte, das Gleichgewicht verlor und rückwärts in Ric h tung des Feuers schlitterte. Auch der Naddred sah die Schwäche seines Feindes. Ein böses Grinsen flackerte über seine verhärmten Züge.
Ailis und der Druide sprangen im selben Moment vorwärts – sie, um Feinklang z u rückzuhalten, er, um ihn in die Flammen zu stoßen.
Im Laufen holte sie mit dem Schwert aus, hieb damit nach dem heranstürmenden Druiden. Die Klinge verfeh l te ihn, z wang ihn jedoch, sich zur Seite zu werfen und von Feinklang abzulassen. Ailis aber geriet durch den Schlag ihrerseits aus dem Gleichg e wicht. Ihre Hand, nach dem Spielmann ausgestreckt, griff ins Leere, und mit von Gra u en geweiteten Augen musste sie zusehen, wie Feinklang von den Flammenarmen ins Innere des Feuers gerissen wurde. Er verblasste zu einem Schatten, der durch die Lich t säule himmelwärts raste.
Ihr blieb keine Zeit, um den Freund zu betrauern. Denn schon stürzte sich der Naddred auf sie, mit ausg e streckten Armen, die Finger gekrümmt wie Vogelkrallen. Ailis wich seinen zupackenden Klauen aus und ließ das Schwert auf Höhe seiner Hüfte herumwirbeln. Die Schneide riss ihm den Unterleib auf. Der Mann klappte zusammen wie ein zerbrochener Ast. Er starb, bevor er die Flammen erreichen und sich opfern konnte.
Ailis stand da, breitbeinig, das blutige Schwert erh o ben, und atmete rasselnd ein und aus. Das Feuer hatte sich ein letztes Mal dem Mond entgegengestreckt, als Fei n klang hineingestürzt war. Nun aber, da kein Naddred mehr da war, um die Beschw ö rung aufrechtzuerhalten, verlor es allmählich an Höhe. Ailis konnte zusehen, wie es in sich zusammensank und dabei geisterhafte Laute verursachte, fast wie ein enttäuschtes Stöhnen. Entsetzt stolperte sie einige Schritte zurück.
Aus der Dunkelheit in ihrem Rücken erklang ein ge l lendes Kreischen. Sie drehte sich um und sah einen M o ment später Jammrich und Sankt Suff aus der Finsternis treten. Jammrich musste den Dicken stützen, er blutete aus einer Wunde an der Stirn. Zudem drohte sein linkes Knie bei jedem Schritt nachzugeben. Im Näherkommen entdeckte Ailis, dass ein tiefer Schnitt in seinem Obe r schenkel klaffte.
»Wir haben ihm … den Schädel eingeschlagen«, keuchte Sankt Suff und grinste schmerzverzerrt. Die B e spannung seiner Pauke, die er noch immer auf dem R ü cken trug, war zerrissen und mit Blut bespritzt. Es sah aus, als hätte das Instrument selbst aus seiner Wunde g e blutet.
Jammrich half dem Freund, sich auf den Boden zu se t zen. Sein Blick irrte über das Ruinenfeld, sah die Leichen der erschlagenen Naddred und suchte vergeblich nach Feinklang.
Ailis schüttelte stumm den Kopf, sagte kein Wort. Er verstand.
Die Flammen hatten jetzt fast den Rand des Schachts erreicht, senkten sich immer tiefer. Schließlich drang nur noch ein schwaches Schimmern aus dem Abgrund he r auf, das bald erlosch. Der Mond glühte unverwandt am Himmel, gänzlich unberührt von den Ereignissen
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