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Loreley

Titel: Loreley Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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sich Mühe, es sich nicht anmerken zu lassen.
    »Wie ist das Wetter?«
    »Es stürmt«, sagte Amrei. »Und es ist kalt, bitterkalt.«
    »Schneit es schon?«
    »Noch nicht. Aber es kann jeden Moment anfangen. Die Wolken – «
    Wieder wurde sie von Fee unterbrochen: »Was sagt Erland?«
    »Erland? Sollte ich den denn auch fragen?«
    »Oh Amrei …«
    Die Zofe keuchte auf, dann fuhr sie trotzig herum und machte sich erneut auf den Weg.
    Bald darauf klapperten Amreis Schritte zum vierten Mal über den Gang vor der Tür. »Er weiß von nichts«, stöhnte sie, als sie hereinkam. »Wenigstens hat er das g e sagt. Eigentlich hat er nur vor sich hingeknurrt.«
    Fee starrte sie alarmiert an. »Er weiß nichts von der Botschaft, die Ailis überbri n gen sollte?«
    »Nein. Sie wird gelogen haben. Mich wundert’s nicht. Aber Ihr müsst ja immer auf der Seite sein von dieser … dieser …«
    »Schon gut, Amrei. Du kannst gehen.«
    »Soll ich Euch denn nicht das Haar richten?«, fragte sie verwundert.
    »Nicht nötig.«
    »Aber Ritter Baan – «
    »Ritter Baan wird so mit mir vorlieb nehmen müssen wie ich es für richtig halte.«
    »Eure Tante wird mich bestrafen.«
    »Das wird sie nicht.«
    Amrei blinzelte misstrauisch. »Aber Ihr werdet doch in den Rittersaal gehen, oder?«
    »Natürlich.«
    »Irgendetwas sagt mir, dass Ihr schwindelt, Fräulein.«
    »Die Nichte eines Grafen schwindelt nicht.«
    »Nicht oft«, schränkte Amrei ein. »Euer Onkel wird sehr wütend sein, wenn Ihr seinem Wunsch nicht Folge leistet.«
    »Ja, ja.« Fee hatte sich bereits abgewandt und ging zum Fenster. Als sie es öffnete, schlug ihr ein eisiger Windstoß entgegen.
    »Euer Haar ist noch nass, Fräulein. Ihr werdet Euch – «
    »Ich werde mich vergessen, wenn du nicht bald ve r schwindest, Amrei, sonst gar nichts.«
    »Wie Ihr wünscht.« Amrei wandte sich erbost ab und verließ mit einem Stirnru n zeln den Raum.
    Fee stand am offenen Fenster und blickte hinaus auf den Burghof. Jenseits der Zi n nen sah sie die Berge auf der anderen Seite des Flusses. Einige der höheren waren bereits in dichtem Schneetreiben versunken. Dunkles Grau hatte den gesamten Himmel überzogen, vereinzelte Flocken trieben auf dem Wind bis ans Fenster. Jeden Augenblick mochte der Winter über Burg Rheinfels h e reinbrechen.
    Ailis, wo steckst du nur?, dachte Fee. Und warum hast du mich angelogen?
    Dabei durfte doch gerade Fee sich nicht über Lügen beschweren. Was immer Ailis bewogen hatte, die U n wahrheit zu sagen, musste wichtig sein. Fee verzieh ihr den Schwindel und traf eine Entscheidung.
    Wenig später verließ eine einsame Reiterin die Burg, dick v ermummt zum Schutz vor der Kälte und den Bl i cken der Wachen am Tor.
     
    Der Lockgesang des Mädchens entfaltete seine Wirkung in sanften, schwermütigen Schüben. Es begann mit e i nem Summen, so leise, dass selbst Ailis’ empfindliche Ohren eine Weile brauchten, ehe sie es vom Rauschen der Winterwinde unterscheiden konnte. Dann wechselten die Töne allmählich zu einem hellen Säuseln. Es mochte bereits aus Worten bestehen, doch falls dem so war, so waren es Worte, die nicht für das menschl i che Gehör oder den menschlichen Verstand geschaffen waren. Denn mochten sie auch ihre Wirkung im Kopf des Opfers en t falten, so war es doch unmöglich, ihre wahre Bedeutung zu erahnen. Zuletzt aber, als höchste Steigerung des G e sangs, stimmte das Mädchen erkennbare Verse an, eine traurig klingende Reihe verschmolzener Silben, schei n bar sinnlos und doch ergreifend melodiös.
    Die Töne quollen aus dem Schacht, fächerten weit über den Lurlinberg. Und doch war es nicht länger Ailis, der sie galten. Sie fühlte keinen Zwang mehr, sich dem Stahldorn zu nähern, hörte keinen geheimen Befehl, ve r spürte kein Schuldgefühl für ihren Widerstand.
    Ein kleiner Vogel flatterte aus dem Schneetreiben he r an, selbst so grau wie die Wolkenwand, ein Sperling, den der Wind auf und ab trieb, durchgeschüttelt wie ein Stück Treibholz im Schaum einer Stromschnelle. Das Tierchen kämpfte tapfer gegen die Wintergewalten an, kam ta u melnd immer näher.
    Das Mädchen sang lauter, lockender.
    Ailis stolperte zurück. Es war ein Gefühl, als hätte die uns ichtbare Pranke, die sie die ganze Zeit umklammert hatte, sie plötzlich losgelassen.
    Der Sperling drehte einen unruhigen Kreis über dem Schacht, dann schwang er sich plötzlich abwärts, raste flügelschlagend auf das Gitter zu – und spießte sich vor Ailis’ Augen auf einer

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