Loreley
Seele – wie Rauch aus ihrem Körper wehen. Als zwänge sie etwas, aus sich selbst zu flüchten und den leeren, nackten Körper auf dem Bergplateau zurückz u lassen.
Das kleine Mädchen warf den Kopf zurück und lachte. Die hellen Laute vibrierten zwischen den Berghängen.
Ailis blickte an sich hinab, starrte wie gebannt auf die stählerne Spitze. Nur eine Fingerbreite trennte den Dorn noch von ihrem Fleisch, und die Gewissheit, wie nah ihr der Schmerz, der Tod vielleicht, war, jagte einen warmen Kitzel durch ihren Leib.
Das Mädchen im Schacht begann wieder zu singen.
Fee nahm ein heißes Bad, als eine Zimmermagd überr a schend den Besucher ankündigte. Er sei soeben eing e troffen und werde von Fees Onkel im Rittersaal empfa n gen. Der Graf habe ausdrücklich ihr Erscheinen g e wünscht.
Amrei ließ den Eimer sinken, aus dem sie gerade dampfendes Wasser in die hölze r ne Wanne nachgegossen hatte. Die Bewegungen der Zofe wurden fahrig, ihre Stimme wanderte eine Tonlage höher.
»Warum bist du so aufgeregt?«, fragte Fee verwu n dert.
»Aber, Fräulein, Ihr habt es doch gehört – Ritter Baan ist eingetroffen.« Sie rang mit den Händen. »Liebe Güte, Ritter Baan!«
»Und?«
»Kennt Ihr ihn denn nicht mehr?«
Fee erhob sich. Das Wasser floss in glitzernden Str ö men von ihrem Körper. Das flackernde Kaminfeuer tauchte sie in goldene Glut. Sie hatte eine Gänsehaut. Amrei sprang an ihre Seite und begann, sie mit einem weichen Tuch trockenzureiben.
»Natürlich kenne ich ihn«, sagte Fee und zog ihre la n gen Haare durch Daumen und Zeigefinger, um das Wa s ser herauszupressen. Sie konnte Amreis Begeisterung nicht nachvollziehen, außerdem machte sie sich Sorgen um Ailis. Das Wetter wurde schlec h ter und schlechter.
»Baan war dreizehn Jahre alt, als ich ihn zum letzten Mal gesehen habe«, sagte sie, »und seine Lieblingsb e schäftigung war es, den Mägden auf dem Hof die Röcke hoc h zuziehen.«
»Aber das ist sieben Jahre her!«, empörte sich Amrei. »Ach, wenn Ihr wüsstet, was über ihn erzählt wird! Wie groß und schön er ist, wie tapfer im Kampf und wie – «
»Oh, Amrei, bitte!«, unterbrach Fee sie und verdrehte die Augen.
»Aber das ist es, was man über ihn erzählt«, meinte die Zofe beharrlich. »Das prächtigste Mannsbild dies- und jenseits des Stroms soll er sein. Gunthild und Gun t lind aus der Küche haben ihn gesehen, sagen sie, und sie haben sogar mit ihm gesprochen!«
»Sagen sie das, ja?«
»Allerdings.« Amrei hatte vor Verliebtheit in das Hirngespinst ihrer Freundinnen riesengroße Augen b e kommen.
»Dann sag mir doch, wo Gunthild und Guntlind – Himmel, ausgerechnet diese be i den! – ihm begegnet sein wollen.«
»Im Wald, beim Holz sammeln.«
»Gewiss. Und warum sollte Ritter Baan, dessen Lä n dereien mehr als drei Tagesritte entfernt von hier liegen, in unserem Wald zwei Küchenmägden beim Holz sa m meln zusehen?« Fee grinste plötzlich. »Wenn ich’s genau bedenke, könnte er ihnen wieder einmal unter die Röcke geschaut haben, als sie sich bückten.«
Amrei starrte sie erst sprachlos vor Verblüffung an, dann legte sie schmollend die Stirn in Falten. »Ach, Ihr habt ja keine Träume mehr, Fräulein.«
»Mehr als du glaubst.«
»Das erzählt einer anderen! Wer nicht von Baan träumt, der träumt von gar keinem Mann.«
Fee seufzte und stieg aus der Wanne, das Tuch fest um die Schultern gezogen. »Weißt du, ob Ailis mittlerweile zurückgekehrt ist?«, fragte sie, während Amrei sie a n kleidete.
»Ailis!«, fauchte Amrei verächtlich. »Immer habt Ihr nur dieses Weibsbild im Kopf.«
»Ich weiß, dass du sie nicht magst. Trotzdem – ist sie zurück oder nicht?«
»Sie ist Eurer nicht würdig.«
»Amrei«, ermahnte Fee sie mit Nachdruck.
Die Zofe hob die Schultern und stöhnte. »Während Eures Bades habt Ihr mich zweimal hinab zum Tor g e sandt, um nach ihr zu sehen. Beide Male keine Spur von ihr. Glaubt Ihr, dass ich durch die Wände sehen kann, um zu wissen, ob sich daran etwas geändert hat?«
Fee schüttelte Amreis Hände unmutig ab. »Lass nur, ich kann mich allein anziehen. Geh nochmal runter und frag die Wachen nach ihr.«
Es war der Zofe anzusehen, wie sehr ihr dieser Au f trag missfiel, aber sie gehorchte und verließ das Gemach.
Als sie nach einer Weile zurückkehrte, war Fee bereits angekleidet und bürstete sich das nasse Haar.
»Keiner hat sie gesehen«, sagte sie atemlos.
Die Sorge schnürte Fees Magen zusammen, aber sie gab
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