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Loreley

Titel: Loreley Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Stachel ihre Haut verletzt. In der Schmiede war es Ailis’ Aufg a be, Erlands neue Klingen zu schleifen, doch nie zuvor hatte sie etwas so Scharfes gesehen.
    »Du blutest«, stellte das Mädchen fest, aber es lag ke i ne Sorge in seiner Stimme. Erst recht kein Schuldgefühl.
    Ailis führte den Finger an die Lippen, saugte daran. Plötzlich fiel ihr ein, dass die Spitzen vergiftet sein kön n ten.
    Dann ist es ohnehin zu spät, dachte sie resigniert.
    »Du blutest«, sagte das Mädchen noch einmal, jetzt in einem beschwörenden Flü s terton. Seine Augen hatten sich verengt. Es legte den Kopf leicht in den Nacken, atmete dabei scharf durch die Nase ein und aus. So, als nähme es Witterung auf.
    Ailis nahm den Finger vom Mund und zog eine Gr i masse. »Ja, sieht ganz so aus«, knurrte sie verdrossen.
    Der Hauch eines Lächelns flirrte über die Züge des Mädchens; es hätte ebenso der Schatten einer Wolke sein können. »Ich meine nicht den Finger«, zischte es kaum hörbar.
    Ailis legte den Kopf schräg. »Was hast du gesagt?«
    »Nicht der Finger.« Die Pupillen der Kleinen hatten sich u nter ihre Lider gesch o ben, geädertes Weiß füllte ihre Augen aus. Ihre schmale Brust hob und senkte sich bebend.
    »Ich verstehe nicht«, stammelte Ailis.
    »Du verstehst sehr gut. Du blutest. Zwischen deinen Beinen.«
    Instinktiv blickte Ailis an sich hinunter. Auf ihrer l e dernen Reithose war kein Fleck zu sehen.
    »Jede Frau blutet da unten«, verteidigte sie sich. Das war alles, was sie darüber wusste. Man sprach nicht da r über. Man stand diese Sache einfach durch wie so viele andere.
    »Ich nicht«, sagte das Mädchen.
    »Du bist zu klein.«
    »Zeig es mir!«
    »Wie bitte?«
    »Ich will es sehen. Zeig mir, wie du blutest. Zeig es mir jetzt!«
    Etwas geschah. Etwas änderte sich. Zuerst nur das Licht. Die Schneewolken hatten den Lurlinberg erreicht und schoben sich über ihn hinweg, doch noch war die Luft trocken, schien zu knistern wie vor einem Gewitter. Die sinkende Sonne war hinter den Wolken verschwu n den. Die Nacht kam früh, legte sich wie schwarzer Rauch über das Land.
    Aber es waren nicht nur der Himmel und das Licht, die sich veränderten. Es war etwas in der Stimme des Mädchens, so, als verberge sich hinter jedem Wort noch ein zweites. Fremde, wütende Worte, mysteriös und mächtig.
    Ailis öffnete ihren Gürtel. Er fiel lautlos zu Boden. Dann zog sie ihre Schuhe aus. Sanft streiften die Hose n beine ihre Haut, als sie langsam an ihren Schenkeln he r abgli t ten. Das gefaltete Tüchlein, das sie am Morgen zwischen ihre Beine gepresst hatte, war dunkel durc h tränkt, fast schwarz; es glitt mit ihrer Kleidung zu Boden. Zuletzt stieg sie aus der zerknüllten Hose und machte einen kleinen Schritt zur Seite. Ihre nackten Beine übe r zogen sich mit einer Gänsehaut, doch sie spürte die Kälte nicht. Ihr war heiß, so als hätte sie Fi e ber.
    »Komm näher«, flüsterte das Mädchen. Es klang, als sprächen mehr als nur eine Stimme aus ihr, fast wie ein Choral in weiter Ferne.
    Ailis trat auf das Gitter zu, so nah, wie es gerade noch möglich war, ohne dass die Spitzen ihre Schenkel ritzten. Doch selbst das war ihr im Augenblick gleichgültig. Sie empfand nichts dabei, keine Furcht, keine Scham, keine Verwunderung.
    Ein langer Stahldorn wies auf den Haarflaum zw i schen ihren Beinen.
    »Noch ein wenig näher«, raunte ihr das Mädchen zu.
    »Nein«, widersprach Ailis schwach. »Du kannst es auch so sehen.«
    »Dann zeig es mir ganz. Offne deine Beine.«
    Ailis befolgte den Befehl.
    Das Mädchen schloss einen Moment lang die Augen, und als es sie wieder öffnete, waren seine Pupillen z u rückgekehrt. Sie waren sehr dunkel und so tief wie der Schacht.
    »Näher!«, raunte es erneut.
    Ailis zögerte. »Nein«, kam es über ihre Lippen, sehr leise, sehr unentschlossen.
    In der Finsternis regte sich das Mädchen, tat etwas mit seinem Kleid, mit seinen Beinen.
    »Ich blute nicht«, sagte es noch einmal, und maßloses Erstaunen lag in seiner Stimme.
    Die Stahlspitze zeigte auf Ailis’ Unterleib wie ein a n klagend ausgestreckter Zeig e finger.
    Das Mädchen blickte wieder zu ihr auf. »Ich bin nicht wie du.«
    »Nein«, sagte Ailis benommen.
    »Begreifst du, was das bedeutet?« Ein helles Flirren blitzte in den Augen der Kleinen, wie der Schimmer e i nes fernen Gewitters am Horizont.
    Ailis begriff gar nichts. Sie hatte das Gefühl, als würde alles, was sie selbst au s machte – ihre Gedanken, Gefühle, ihre

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