Loretta Chase
Carsington«, meinte Lord Lithby.
»Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob ich Frauen ermutigen möchte, sich generell
wie Männer zu benehmen. Das dürfte der Rückschritt in die Barbarei sein,
fürchte ich. Frauen sind es doch, die uns zivilisieren und zu besseren Menschen
machen.« »Dann sollten wir uns meine Großmutter als zivilisierende Instanz
vorstellen«, schloss Darius. »Und versuchen, bei dem Gedanken an sie keine
Albträume zu bekommen.«
Obwohl er
nicht glaubte, dass Pip heute Albträume haben würde, ging Darius doch noch
einmal nach oben, um dem Jungen Gute Nacht zu sagen, ehe er nach Beechwood
zurückkehrte.
Pip lag
zwar schon im Bett, war aber noch hellwach und las in einem Buch, als Darius
hereinkam.
Im
dämmerigen Kerzenschein sah er mit seinem prächtigen blauen Auge wie ein
kleiner Kobold aus.
Ein sehr
ernsthafter kleiner Kobold. Er legte das Buch beiseite und blickte Darius
überaus ernst und besorgt an. »Haben sie endlich aufgehört zu weinen?«,
fragte er. »Ja«, erwiderte Darius. »Im Augenblick streiten sie sich über
den Hochzeitsempfang.« »Werde ich dann zu Ihnen nach Beechwood kommen,
Sir?
Nach der
Hochzeit?«
»Ja.
Gefällt es dir hier nicht?«
Pip schaute
sich um. »Es ist hier sehr ... groß. Und es gibt so viele Dienstboten. Und
niemand schreit herum.« Er überlegte kurz. »Doch, es gefällt mir, aber es
ist irgendwie ... seltsam.«
»Es war ja
auch ein sehr seltsamer Tag für dich«, meinte Darius.
Der Junge
nickte.
»Es
passiert schließlich nicht jeden Tag, dass man aus heiterem Himmel eine Mutter
bekommt – und noch ein Paar Großeltern dazu. Du hast dich wacker gehalten, fand
ich.«
»Ich
dachte, dass sie – also meine Mutter – mich zum Besten halten wollte«,
sagte Pip. »Vielleicht hätte ich nicht lachen sollen.«
Er hatte
seine Mutter nicht nur ausgelacht, sondern auch noch gesagt: »Ja, klar, Euer
Ladyschaft, sehr witzig.«
»Sie hat es
dir nicht übel genommen«, sagte Darius.
»Nein, hat
sie nicht.« Und nach kurzem Zögern: »Sie ist sehr schön.«
»Das ist
sie.«
»Ich dachte
mir, wenn sie unbedingt meine Mutter sein will, tu ich ihr eben den
Gefallen.«
»Sie ist
wirklich deine Mutter«, versicherte ihm Darius.
»Ja,
wahrscheinlich. Aber ich hatte mich schon so an den Gedanken gewöhnt, dass sie
tot ist«, sagte Pip. »Das war ein richtiger Schock. Ich wusste, dass meine
Mutter eine Dame war, aber ich dachte eben, sie wäre tot, und selbst wenn sie
nicht tot wäre, hätte
ich mir nie vorgestellt, dass sie so vornehm und schön ist. Haben Sie je einen
Hut mit so vielen Bändern gesehen? Wozu trägt man denn so ein kleines Hütchen
mit so vielen Bändern dran?«
Darius
musste an den kleinen frivolen Hut denken, den Lady Charlotte bei ihrer ersten
Begegnung nicht auf dem Kopf gehabt hatte. »Man trägt ihn zur Zierde«, sagte
er lächelnd.
Nach seiner
Unterredung mit Lady Lithby ritt ein hochgradig alarmierter Colonel Morrell
umgehend nach Altrincham und suchte das
Haus der Tylers auf. Mr. Tyler sei noch nicht von der Arbeit zurück, teilte
eine der Töchter ihm mit. Und Mrs. lyier wäre in Manchester.
»Der
Junge«, stieß der Colonel hervor. »Wo ist er?«
»Alle
wollen wissen, wo Pip ist«, wunderte sich das Mädchen. »Ich hab keine
Ahnung, wo er abgeblieben ist. Heute Morgen ist er mit Papa zur Arbeit
gegangen, so wie immer.«
Colonel
Morrell ritt denselben Weg zurück, den er gekommen war. Unterwegs traf er
Tyler, der auf dem Heimweg war, und fragte ihn nach Pip.
»Wie ich
Mr. Carsington schon gesagt habe«, meinte Tyler. »Zuletzt habe ich den
Jungen gesehen, als er den Hund zurück nach Lithby Hall bringen wollte. Danach
sollte er gleich zurückkommen. Er hätte ein paar Sachen für mich erledigen
müssen, Besorgungen für meine Frau. Aber er ist nicht zurückgekommen. Sieht so
aus, als wär er weggelaufen, Sir.«
Erst als er
eine weitere Viertelmeile die Straße hinabgeritten war, wagte der Colonel einen
Seufzer der Erleichterung auszustoßen.
Kenning
hatte seinen Auftrag ausgeführt. Pip war auf dem Weg nach Irland.
Colonel
Morrell hatte Lady Charlotte vor sich selbst bewahrt.
Zumindest
fürs Erste.
Es blieb
nur zu hoffen, dass sie, so sie Zeit und Muße hatte, sich zu beruhigen und zu
besinnen, einsehen würde, wie töricht ihre Entscheidung gewesen war. Sowohl
ihre Entscheidung für den Jungen als auch die für Carsington.
Des
Colonels Erleichterung dauerte bis zum späten Abend an, als Kenning nach Hause
kam.
»Tut
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