Loretta Chase
überlegte Lady Hargate laut. »Ich
wäre eigentlich mehr an der Mama interessiert«, sagte Rupert.
»Warum nur
überrascht mich das nicht?«, sinnierte Daphne.
Rupert sah
sie mit Unschuldsmiene an. »Aber Liebes ...
Bathsheba
Wingate ist eine Berühmtheit! Sie ist wie eine dieser verderblichen Frauen, von
denen uns Homer erzählt ... du weißt schon, diese singenden Frauen, die arme
Seefahrer anlocken und auf die Klippen lotsen.«
»Sirenen«,
half Peregrine aus. »Aber das sind doch nur Sagengestalten, so wie
Meerjungfrauen. Angeblich locken sie Männer durch ihren Gesang in den Tod, was
wirklich albern ist. Musik kann doch nichts anlocken! Außer Schlaf vielleicht.
Außerdem, wenn Mrs. Wingate eine Mörderin ist ...«
»Ist sie
nicht«, unterbrach Lord Hargate. »So unglaublich es auch scheinen mag,
aber Rupert hat sich soeben einer Metapher bedient. Einer sehr trefflichen
zudem.«
»Es ist nicht nur eine Sage, sondern auch eine sehr tragische
Liebesgeschichte«, fügte Rupert bedeutungsvoll hinzu.
Peregrine
verzog das Gesicht.
»Du darfst
gerne ins Billiardzimmer gehen«, sagte Benedict zu ihm.
Im Nu war
der Junge verschwunden. Wie Rupert sehr wohl wusste, gab es in Peregrines Augen
nichts Scheußlicheres und Verdrießlicheres als Liebesgeschichten, insbesondere
tragische.
Sowie der
Junge außer Hörweite war, erzählte Rupert seiner Frau, wie die schöne Bathsheba
DeLucey den zweitgeborenen, doch liebsten Sohn des Earl of Fosbury verhext und
sein Leben ruiniert hatte. Es war genau dieselbe Geschichte, die Benedict
heute schon ein Dutzend Mal zu Ohren gekommen war.
Jack
Wingate, so war man sich einig, war »vor Liebe von Sinnen« gewesen.
Verhext eben, ganz im Bann der schönen Bathsheba DeLucey Die Liebe war sein
Verderben gewesen. Sie hatte ihn seine Familie gekostet, seinen Ruf, sein
Vermögen – alles. »Bathsheba DeLucey war die Sirene, die Wingate ins Verderben
gelockt hat«, schloss Rupert. »Genau wie in der griechischen Sage.«
»Genauso
klingt es auch – sagenhaft«, meinte Daphne verärgert. »Vergiss nicht, dass
auch weibliche Gelehrte in den Augen der Gesellschaft Ungeheuer sind. Die
Vorstellungen der Gesellschaft können bisweilen sehr engstirnig und beschränkt
sein.«
Daphne
musste es wissen. Obwohl sie in eine der einflussreichsten Familien
eingeheiratet hatte, tat die Mehrheit der männlichen Gelehrten ihre Theorien
zur Deutung der ägyptischen Hieroglyphen als unsinnigen Weiberkram ab.
»Nicht so
jedoch in diesem Fall«, wandte Lord Hargate ein. »Wenn ich mich recht
erinnere, fingen die Probleme bereits zu Zeiten meines Großvaters an, zu Beginn
des vorigen Jahrhunderts. Grob gerechnet brachten die DeLuceys in jeder
Generation einen tapferen Seehelden hervor, und Edmund DeLucey, Zweitgeborener
und überaus befähigter Marineoffizier, versprach abermals einer zu werden. Doch
irgendwie schaffte er es dennoch, in Ungnade zu fallen und aus den Diensten
Seiner Majestät entlassen zu werden. Er ließ das Mädchen sitzen, mit dem er
verlobt war, und machte fortan als Pirat Karriere.«
»Sie
belieben zu scherzen, Vater«, meinte Benedict trocken. Von Jack Wingates
tragischer Liebe hatte er ad nauseam gehört. Neu war ihm die abenteuerliche
Familiengeschichte der DeLuceys.
Sein Vater
beliebte indes nicht zu scherzen, was die Sache keineswegs erfreulicher machte.
Wollte man
Lord Hargate Glauben schenken, erfreute Edmund sich – anders als die meisten
Piraten – eines langen Lebens, in dessen Verlauf er heiratete und zahlreiche
Nachkommen zeugte, die ihm allesamt nachschlugen. Ebenso deren Nachfahren,
welche wiederum ein Talent dafür hatten, Ehepartner von guter Abstammung und
loser Moral anzulocken.
»Diesem
Zweig der DeLuceys entstammen ausschließlich Schwindler, Spieler und
Betrüger«, sagte der Earl. »Absolut nicht vertrauenswürdig und berüchtigt
für ihre Skandale. Von Generation zu Generation setzt sich das so fort. Auch
vor Bigamie und Scheidung schrecken sie nicht zurück. Mittlerweile leben sie
zumeist außer Landes – um ihren Gläubigern zu entgehen und jene auszunehmen,
die dumm genug sind, sich mit ihnen abzugeben. Eine ganz ungeheuerliche
Familie.«
Und fast
hätte Benedict einer von ihnen nachgestellt.
Fast.
Obwohl er
ihr nicht gefolgt war, konnte er ihr nicht entkommen, da alle über sie redeten.
Sie war
wahrlich eine Sirene. Eine Femme fatale.
Aber sie
hatte ihn nicht angelockt, sondern zurückgewiesen.
Oder etwa
nicht?
Das hat
nichts mit Impertinenz
Weitere Kostenlose Bücher