Loretta Chase
vermutet,
bevor sie es mir gesagt hat, und ich war auch überhaupt nicht überrascht, als
Lord Hargate meinte, ich würde erbärmlich zeichnen.«
Während der
Junge inmitten der im Schaufenster versammelten künstlerischen Schandtaten nach
Mrs. Wingates Werk suchte, wünschte Benedict, dass sein Vater zumindest
manchmal mit seinen Worten an sich hielte.
Hätte er
nur etwas weniger vernichtend von Peregrines Bemühungen gesprochen, würde der
Junge nun nicht so sehr darauf versessen sein, einen Zeichenlehrer zu bekommen.
Ihm jucke es in den Fingern ... er könne es kaum noch erwarten ... sie dürften
keine Zeit verlieren ... sein schlechter Stil würde mit der Zeit nur noch
schwerer zu korrigieren sein ... und die Dame suche doch Schüler ... und hatte
sie nicht einen
netten und verständigen Eindruck gemacht?
Benedict
hätte einfach erwidern sollen, dass Bathsheba Wingate nicht infrage käme.
Stattdessen hatte er nachgegeben. Seiner eigenen Neugier.
Töricht und
verwerflich, derart nachzugeben.
Wohl wahr,
Atherton beteiligte sich nicht nennenswert an der Erziehung seines Sohnes –
oder an dessen Leben überhaupt. Er
wünschte zwar, dass der Junge eine standesgemäße Schule besuchen möge, überließ
das Wirken dieses Wunders jedoch seinem Sekretär.
Derzeit
weilte Atherton samt Gattin auf seinem Landsitz in Schottland und beabsichtigte
nicht, vor dem kommenden Jahr nach London zurückzukehren. Kurzum: Er verhielt
sich kaum anders als andere Väter von Stand.
Das Problem
war indes, dass Peregrine anders war als herkömmliche Adelssprösslinge.
Er tat sich schwer mit der Welt, in die er geboren worden war und in die er
ebenso wenig hineinpasste wie ein Falke in den Käfig eines Kanarienvogels. Sein
Ziel im Leben bestand nicht ausschließlich darin, in die Fußstapfen seines
Vaters, dessen Vaters und einer langen Ahnenreihe von Dalmays zu treten. Er
hatte Ambitionen.
Obwohl es
Benedict nie in den Sinn gekommen war, anders zu sein und von dem ihm
vorgegebenen Weg abzuweichen, konnte er diesen Wunsch doch bei anderen
respektieren und die Beharrlichkeit bewundern, mit der sie ihre Ziele
verfolgten. Das allein vermochte allerdings nicht befriedigend zu erklären,
warum er jetzt hier war, noch dazu in einer der trostloseren Ecken von Holborn.
Er wollte
einen Zeichenlehrer für Peregrine finden.
Aber
Bathsheba Wingate kam wie gesagt keineswegs in Frage, denn nicht einmal
Atherton würde sich gleichmütig damit einverstanden erklären, seinen Sohn von
einer der Ungeheuerlichen DeLuceys unterrichten zu lassen – und schon gar nicht
von dieser, Sirene, die sie war.
»Da ist
es!«, rief Peregrine und zeigte auf ein Aquarell von Hampstead Heath. Als
Benedict es betrachtete, überkam ihn abermals ein Gefühl der Beklemmung. Ihm
war gerade so, als drücke eine Faust sein Herz zusammen.
Das Bild
war alles, was ein Aquarell sein sollte: Nicht nur Form, Linie und Farbe waren
getreu der Natur eingefangen, sondern auch die Stimmung. Es war, als hätte die
Künstlerin einen zufälligen Moment für immer festgehalten.
Es war
schön, geradezu berückend, und er wollte es haben.
Wollte es
unbedingt.
Viel zu
sehr.
Nicht, dass
sein Verlangen auch nur das Geringste zu bedeuten hätte. Von Bedeutung war
allein, dass besagte Künstlerin Peregrine nicht unterrichten konnte. Es ging
nicht an, formbare, beeindruckbare Kinder von berühmt-berüchtigten Frauen
unterrichten zu lassen.
Zudem hatte
Lord Hargate von einem Zeichenlehrer gesprochen, nicht von einer Zeichenlehrerin.
»Und, taugt
das was?«, fragte Peregrine bangend.
Sag, dass
es ganz nett ist. Dilettantisch. Mittelmäßig. Sag alles, nur nicht die Wahrheit,
und du kannst von hier verschwinden und sie vergessen.
»Es ist brillant«,
sagte Benedict.
Er hielt
inne, um die Verbindung zwischen Verstand und Zunge wiederherzustellen.
»Zu gut,
möchte ich meinen«, fuhr er fort. »Ich bezweifle, dass sie ihre Zeit
darauf verschwenden
will, Kinder zu unterrichten. Wahrscheinlich sucht sie fortgeschrittenere
Schüler. Das Mädchen hat es sicher gut gemeint, es war sogar sehr
schmeichelhaft, die Dienste seiner Mutter anzubieten, aber ...«
In diesem
Moment ging die Tür des Ladens auf, eine Frau eilte heraus und die Treppe
hinunter, sah kurz in seine Richtung ... und stolperte.
Instinktiv
sprang Benedict herbei, um ihren Sturz aufzuhalten und
fing sie auf, bevor sie auf den Gehsteig stürzen konnte.
Fing sie in
seinen Armen auf.
Und sah
hinab.
Ihre Haube
hatte sich
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