Loretta Chase
seine
Füße rutschten unter ihm weg, und er stürzte kopfüber die Böschung hinab.
»Olivia!«,
schrie er. »Pass auf!«
Auf Händen
und Füßen schlidderte er über den glitschigen Matsch der Böschung, dann fiel er
in das dunkle, tosende Wasser.
Da sie
nur wenige Schritte
hinter Peregrine gewesen war, hörte Olivia seinen Warnschrei einen winzigen
Augenblick zu spät. Schon stolperte sie hinter ihm die Böschung hinab und
ruderte hilflos mit den Armen. Als sie ins Wasser stürzte, stieß sie mit der
Hand gegen etwas Hartes, dessen Oberfläche rau war, bekam es zu fassen und
hielt sich mit beiden Händen daran fest.
»Hilfe!«,
schrie sie. Eisiges Wasser wirbelte um sie her, zerrte an ihr und versuchte,
sie mitzureißen. Regen prasselte ihr auf Kopf und Hände, die ihr ganz taub
wurden. Sie sah, wie Peregrine im Wasser strampelte und von der starken
Strömung davongetragen wurde.
»Lisle!«,
schrie sie. »Peregrine!«
Sein Kopf
verschwand in den Fluten.
Kaum war Benedict gestürzt, war Thomas
auch schon bei ihm. Der Lakai packte ihn beherzt und brachte ihn wieder auf die
Füße.
»Mrs.
Wingate«, stieß Benedict atemlos hervor, während er sich Matsch und Laub
vom Gesicht wischte. »Wo ist sie?«
»Hat sich
mit ihrem Kleid in einem Busch verfangen«, gab Thomas Auskunft. »Ich habe
ihr gesagt, sie soll bleiben, wo sie ist, und den andern den Weg weisen. Dann
bin ich schnell weggerannt, bevor sie Nein sagen konnte.«
Just in
diesem Augenblick hörten sie Peregrines Schrei. Kurz darauf schrie Olivia. Den
Schreien folgend, eilten die beiden Männer den Hang hinab.
Benedict schlug
sich durchs Unterholz und gelangte schließlich auf den Uferweg. Keine Spur
von Peregrine.
Als
plötzlich das blasse Gesicht des Jungen aus dem tosenden Wasser auftauchte, setzte
Benedicts Herz kurz aus und begann dann wild zu schlagen.
»Helfen Sie
ihm!«, schrie es zu seiner Rechten.
Er eilte in
die Richtung, aus der der Schrei kam, und sah das Mädchen, wie es sich an den Ast
eines umgestürzten Baumes klammerte.
Der morsche
Baum musste sich irgendwo verfangen haben, was erklären dürfte, weshalb
Olivia nicht längst hinter Peregrine den Fluss hinabtrieb. Der Junge versuchte
derweil, sich verzweifelt gegen die Strömung zu stemmen. Es war offensichtlich,
dass seine Kräfte nachließen.
»Lange wird
er das nicht durchhalten, Sir«, bemerkte Thomas.
Noch gut
fünfzig Meter und er würde den Wasserfall hinabstürzen – und sich das Genick
brechen. Wenn er nicht zuvor schon ertrunken war.
Benedicts
Blick flog zurück zu dem Mädchen. Jeden Augenblick könnte der zu einem reißenden
Fluss angeschwollene Bach den morschen Baum davontragen, an dem Olivia sich
festklammerte.
»Ich kann
zu ihm rausschwimmen, Sir«, erbot sich Thomas.
»Nein,
bleiben Sie auf dem Uferweg und laufen Sie vor bis zum
Wasserfall«, sagte Benedict. »Versuchen Sie zu verhindern, dass er in die Tiefe
gerissen wird. Ich komme so bald wie möglich nach.«
Noch
während er sprach, kletterte er die schlüpfrige Böschung hinab und bahnte sich
entlang des Ufers einen Weg zu Olivia. Thomas rannte los zum Wasserfall.
»Nicht
mich!«, schrie Olivia. »Er wird ertrinken!«
Benedict
stieg ins Wasser und hielt unbeirrt auf sie zu. Obwohl das Wasser eisig war und trüb
von Schlamm und Dreck, war der Strom hier doch nicht so tief wie befürchtet.
Das Wasser reichte ihm nicht weiter als bis zur Hüfte.
Allerdings
war die Strömung unerwartet stark, sodass er sich vorsichtiger und langsamer
bewegen musste, als ihm lieb war. Es schien ihm Stunden zu dauern, die paar
Schritte bis zu dem Mädchen zurückzulegen.
»Nicht
mich!«, schrie sie wieder. »Nicht mich, habe ich gesagt!«
»Sei
still«, sagte er, packte sie und löste ihre vor Kälte steifen Finger von
dem Ast, an dem sie
sich festklammerte. Mit ihr in seinen Armen wankte er zurück ans Ufer, hievte sie
die Böschung hinauf und setzte sie auf dem feuchten Boden ab.
»Bist du
verletzt?«, fragte er und hätte vor Anstrengung fast kein Wort herausgebracht.
»N...n...nein«,
stieß sie zähneklappernd hervor. »A...aber ich h...habe Ihnen gesagt, Sie sollen
ihn retten!«
Sie war
nass bis auf die Knochen. Schlammiges Wasser rann ihr übers Gesicht. Sie zitterte am
ganzen Leib. Und sie war wütend.
Sie war wie
ihre Mutter.
»Bleib
hier«, sagte Benedict. »Rühr dich nicht von der Stelle.«
»Ja, ja,
aber gehen Sie endlich! Bitte.«
Und
Benedict ging.
Bis
Benedict seinen Lakaien eingeholt hatte, hatte
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