Loretta Chase
die Strömung Peregrine schon
gefährlich nah an den Wasserfall herangetrieben. Das Wasser war zu tief, als
dass er noch hätte stehen können. Er versuchte zu schwimmen, war jedoch zu
erschöpft – oder vielleicht war er auch verletzt oder beides –, und trieb
stetig dem Wasserfall zu, der nun keine zehn Meter mehr entfernt war.
Thomas
stieg gerade ins Wasser. Benedict folgte ihm. »Mylord«, erhob sein Diener
entrüstet Einspruch.
»Wir müssen
eine Kette machen«, sagte Benedict.
Mehr musste
er nicht sagen.
Thomas
watete ein Stück hinaus. Benedict packte ihn bei der Hand und arbeitete sich
vorsichtig vor zu seinem Neffen. Mit jedem Schritt fiel der Grund unter ihm ab,
bis ihm das Wasser bis zu den Schultern reichte. Die reißende Strömung drohte
ihn umzuwerfen, aber Thomas hielt ihn fest.
»Peregrine!«
Benedict streckte seinen Arm aus. Der Junge griff nach seiner Hand, verfehlte
sie, versuchte es noch einmal.
Beim
zweiten Anlauf bekam er zumindest Benedicts Finger mit den seinen zu fassen und
klammerte sich fest.
Ein Ast
trieb an ihnen vorbei. Er trieb kurz in einem Strudel am Rand des Wasserfalls
und wurde dann in die Tiefe gerissen.
Nur mit
knapper Mühe das Gleichgewicht haltend, zerrte Benedict Peregrine fort von dem
Abgrund aus tosendem Wasser und zerklüftetem Gestein. Die Strömung versuchte,
sie beide mit sich zu ziehen, aber Thomas wich nicht von der Stelle, obwohl
Benedict spürte, wie der Arm des Lakaien vor Anstrengung zitterte.
Es schien
Ewigkeiten zu dauern. Tatsächlich waren gerade einmal ein paar Minuten
vergangen, bis Benedict seinen Neffen in flacheres Gewässer gezogen hatte. Er
würde ihn die Böschung hinaufgetragen haben, doch als sie das Ufer fast erreicht
hatten, machte der Junge sich entschieden von ihm los und stolperte selbst ans
Ufer. Mit letzter Kraft kletterte er die Böschung hinauf und brach auf dem
morastigen Weg zusammen.
Erschöpft
stieg Benedict aus dem Wasser und schleppte sich hinauf an den Uferweg.
»Vielleicht sollte ich dich doch tragen«, meinte er zu seinem Neffen.
»Ich trage
ihn, Sir«, sagte Thomas.
»Ich kann
selber laufen!«, japste Peregrine. »Ich brauche nur eine Minute. Um wieder
zu Atem zu kommen.«
»Aber
wirklich nur eine Minute«, sagte Benedict. »Ich habe Miss Wingate ein
Stück flussaufwärts wie ein nasses Häuflein Elend sitzen lassen. Bleibt zu
hoffen, dass sie sich nicht den Tod holt.«
Schlotternd
vor Kälte setzte Peregrine sich auf. Seine Zähne klapperten. Er biss sie fest
zusammen und rieb sich die Wangen. »Es tut mir leid, Sir«, sagte er.
»Du kannst
dir gar nicht vorstellen, wie leid es dir noch tun wird«, versprach ihm
Benedict. »Aber dazu später. Zuerst müssen wir uns um deine Komplizin
kümmern.«
Sie fanden
Olivia tatsächlich noch dort, wo Benedict sie zurückgelassen hatte. Auch
zitterte sie noch wie Espenlaub. Ihren gestammelten, unverständlichen Einwänden
zum Trotz hob Benedict sie auf seine Arme und machte sich mit ihr auf den
Rückweg. Sie war klitschnass. Hier und da klebte moderige – und äußerst übel
riechende – Vegetation an ihr. Um Peregrine war es keinen Deut besser bestellt.
Benedict konnte sich schon denken, wie er selbst aussehen und riechen musste.
»W...warum t...trägt ihn d...denn n...niemand?«, fragte sie und schaute
über Benedicts Schulter auf den Jungen, der hinter ihnen herstolperte.
»Ich
brauche nicht getragen zu werden«, beschied Peregrine ungnädig.
»Ich auch
n...nicht«, erwiderte sie zähneklappernd und sah Benedict empört an.
»Lassen Sie m...mich s...sofort runter!« Sie schlotterte ganz erbärmlich
in seinen Armen und sah ihn mit großen blauen Augen an – denselben großen
blauen Augen, wie ihre Mutter sie hatte. Tränen standen ihr in den Augen. »Ich
w...will zu m...meiner M...Mama«, sagte sie mit bebenden Lippen.
»Das
herzzerreißende Geheule kannst du dir sparen«, kam es trocken von
Peregrine. »Mein Onkel lässt sich von so etwas nicht beeindrucken. Er ist
nämlich nicht so wie andere Leute, weißt du.«
Anscheinend
doch, denn längst hatte das kleine Biest ein paar Saiten in des Onkels Herzen
angeschlagen und würde auf ihm wie auf einer Fiedel gespielt haben, hätte
Peregrine sich nicht so herzlos eingemischt.
»Das kann
ich mir denken, dass du zu deiner Mutter willst«, sagte Benedict nun so
gleichgültig und kühl wie er nur irgend konnte. »Die Frage ist nur, ob sie dich
auch haben will.«
Das
Allerletzte, wonach
Bathsheba jetzt zumute war, war,
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