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Lorettas letzter Vorhang

Lorettas letzter Vorhang

Titel: Lorettas letzter Vorhang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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eine Küchenmagd war sie recht ansehnlich, und sie bewegte sich auch recht zierlich, als sie, behende den flanierenden Menschen ausweichend, in der Menge verschwand.
    Das Mädchen glitt in die kleine Seitenkammer neben dem Salon nahe der Treppe und stellte das Tablett auf den Tisch. Es standen schon zwei andere dort, gleich mußte eines der Küchenmädchen kommen, um das schmutzige Geschirr in die Küche hinunterzutragen. Siezog an ihren Ärmeln, aber die ließen sich nun wirklich nicht mehr dehnen. Betty war zwar weder kleiner noch schlanker, aber ihre Arme waren eindeutig dünner. Die Ärmel umspannten ihre Oberarme, die von der Theaterarbeit und vom jahrelangen Kutschieren kräftiger waren als die einer Zofe, wie eine Klammer. Der Kaufmann im Rauchzimmer hatte sie sehr nachdenklich angesehen, zu nachdenklich. Sie hatte sein Gesicht gleich erkannt, aber es war doch unwahrscheinlich, daß er sich auch an das ihre erinnerte. Seinen Namen wußte sie nicht mehr, aber im letzten Sommer war sie ihm mindestens zweimal im Sommerhaus der Herrmanns in Harvestehude begegnet.
    Vielleicht wäre es doch besser gewesen, eine andere Verkleidung zu wählen als die eines Serviermädchens. Und vielleicht war es überhaupt eine dumme Idee gewesen, auf diesem Fest herumschleichen zu wollen und die Leute in ihren Gesprächen zu belauschen. Die meisten der Gäste würden das den Herrmanns sehr verübeln, wenn es herauskam. Aber andererseits, konnte Anne nicht immer behaupten, Rosina habe am Theater zuwenig zu tun und einen kleinen Verdienst gesucht? Diesmal konnte sie sich leider weder das Haar noch ihr Gesicht färben, sondern nur die Lippen ein wenig blasser und schmaler, die Augenbrauen ein wenig dunkler malen und sich unter einer festen Haube verstecken. Bei dem Konzert nach dem Souper mußte sie ja wieder Rosina sein, die Komödiantin, die hier bewies, daß sie auch eine Sängerin war. Beweisen mußte. Sie hatte lange nicht mehr vor einem Publikum und nie vor einem so verwöhnten gesungen. Aber das war Annes Bedingung gewesen, und tatsächlich wußte sie nicht, ob das Kribbeln in ihrem Bauch von ängstlichem oder freudigem Lampenfieber zeugte. Sie hatte sich so sehr danach gesehnt, endlich wieder auf der Bühne zu stehen. Nun stand sie eben auf einer kleinen Bühne, nur als Sängerin, aber sie würde gut sein. Darauf mußte sie nur vertrauen. Die wunderbaren Töne von Davids Violine würden sie begleiten und davontragen wie auf einer der dicken weißen Wolken, die sie über der Elbe gesehen hatte.
    Sie stapelte seufzend die Gläser ineinander. Es war schwer gewesen, Claes von ihrer Idee zu überzeugen, bis er bereit war, Henner Schwarzbach und dazu die Kattunmanufakteure einzuladen, denen er den Kauf eines gestohlenen Musterbuchs zutraute. Die Debatte, die Anne da für sie ausgefochten hatte, war ziemlich heftig, und vor allem Claes’ Argument, er werde zwar gerne den einen oder anderen Kattunmanufakteur einladen, aber gerade die, die hier in Frage kämen, auf keinen Fall, war schwer zu entkräften gewesen. Schließlich hatte er unter der Bedingung nachgegeben, aus dem für einen kleineren Kreis geplanten Souper einen Musikabend für viele Gäste zu machen. So würde es kaum auffallen, wenn der Kreis auf etwas ungewöhnliche Weise erweitert worden war. Anne war von einem Musikabend sofort begeistert gewesen, vor allem, weil Rosina ihr gestanden hatte, daß ihre Verspätung am letzten Sonntag nicht nur an ihrer Suche nach Lorettas Beutel gelegen hatte. Tatsächlich hatte sie mit David Rhye dessen neue Noten geprüft und über dem gemeinsamen Musizieren einfach die Zeit vergessen. Zur Strafe, so hatte Anne lachend gesagt, müßten David und Rosina die Arie aus dieser neuen Oper, die ja ganz außerordentlich sein müsse, auf dem Musikabend als besondere Attraktion präsentieren. Was wiederum zu einer Debatte führte, diesmal zwischen Rosina und Anne   – Claes war entnervt in sein Kontor geflüchtet   –, die aber schon nach wenigen Minuten damit endete, daß Anne ihr Tintenfaßöffnete und Löwen einen Brief schrieb, in dem sie bat, seinem Violinisten Mr.   Rhye und Mademoiselle Rosina am Donnerstagabend Urlaub zu geben, da beide für ein Konzert im Hause Herrmanns unverzichtbar seien. Löwen hatte nicht gewagt, sich diesem Wunsch zu widersetzen.
    Rosina erschien das Souper endlos. Dabei war es wirklich nur ein bescheidenes Souper, wie es zu einem Musikabend paßte. Bei Annes und Claes’ Hochzeit im vorletzten Jahr waren

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