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Lorettas letzter Vorhang

Lorettas letzter Vorhang

Titel: Lorettas letzter Vorhang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Anne Herrmanns gut genug, um zu wissen, daß sie Überraschungen niemals verübelte und sich über diese sogar ganz besonders freuen würde. «Wenn Ihr erlaubt.» Er trat beiseite, um dem Mann, der hinter den Geschwistern Reimarus stand, Platz zu machen. «Monsieur Lessing, ein Freund unseres Hauses und – nun, wer er sonst und vor allem ist, muß ich Euch nicht erklären.»
    Es kostete Anne Mühe, die Contenance zu wahren und nicht freudig in die Hände zu klatschen. Heimlich hatte sie befürchtet, daß dieser Abend nichts als ein beständiges Plätschern von Klatsch werden würde, von Börsennachrichten, den neuesten Möglichkeiten, die Augen strahlend und die Verdauung regelmäßig zu machen, oder davon, ob das Wasser von Pyrmont besser sei als das Lauchstädter. Aber nun, mit dem berühmten Dramaturgen und Dichter an ihrem Tisch, war der letzte Rest dieser Sorge verflogen. Sie selbst zumindest würde sich nicht langweilen.
    «Nun?» Claes schob seinen Arm unter den seiner Frau und sah zufrieden auf seine etwa fünf Dutzend Gäste, auf die im Kerzenlicht glänzenden Perücken, gepuderten Locken und seidenen Gewänder, auf die flatternden Fächer, die sich eifrig bewegenden Lippen. «Wie gefällt dir dein Musikabend bisher?»
    «Ganz wunderbar», seufzte Anne. «Wenn die Lohndiener es nun noch schaffen zu servieren, ohne daß ein Rebhuhn oder eine Portion Weingelee in die Dekolletés der Damen rutschen, wird es wunderbar, wirklich wunderbar.»
    Claes grinste. «Und keine Angst, daß unsere Gäste deine Musikauswahl schändlich finden könnten?»
    «Keine.» Anne fühlte sich plötzlich beschwingt wie einKind, das einem strengen elterlichen Verbot zum Trotz mit der Schaukel hoch aufschwingt. «Überhaupt keine. Telemanns gute alte Alster-Ouvertüre wird alle so milde stimmen, daß sie die neue Musik von Monsieur Gluck auch ganz wunderbar finden werden. Glaubst du nicht?»
    Claes teilte die heitere Zuversicht seiner Frau nicht im mindesten, aber er ertappte sich dabei, daß es ihm Vergnügen machte, seinen Freunden eine musikalische Neuigkeit zu präsentieren. Und die, die nicht seine Freunde, sondern nur seine Handelspartner waren, würden kaum wagen, die Nase zu rümpfen. Einige seiner Gäste wunderten sich, wer heute hier versammelt war, so wie andere sich gewundert haben mochten, die ungewöhnlich eilige Einladung überhaupt zu bekommen. Aber niemand hatte abgesagt, bis auf den alten Reimarus natürlich, doch das war nicht anders zu erwarten gewesen.
    «Immerhin hat Rosina eine wunderbare Stimme. Niemand weiß das besser als wir», sagte er leise in ihr Ohr und drückte liebevoll ihren Arm. Seine Lippen berührten dabei ihre Wangen, und Madame van Witten, die diese in der Öffentlichkeit ganz unpassend zärtliche Geste beobachtet hatte, seufzte gerührt. «Ach, Augusta», sagte sie, «Euer Neffe und Madame Anne sind glückliche Menschen. Ich würde meinen Senator» – sie sprach von ihrem Mann immer als von ihrem Senator – «gegen keinen anderen eintauschen, aber die Macht ehelicher Gewohnheit läßt irgendwann doch manches vermissen.»
    Aber das hörten Claes und Anne nicht. Claes, weil er schon in ein Gespräch mit Bocholt und Sonnin vertieft, Anne, weil sie in die Küche hinuntergelaufen war, um ein letztes Mal in die dampfenden Töpfe und Pfannen zu sehen und die Kunst der Köchin gebührend zu loben, wie es ihre Pflicht als Hausfrau war. Nicht, daß das nötig gewesenwäre. Elsbeth, die Herrscherin der Herrmannsschen Küche, war ein Wunder an Perfektion. Doch Anne wußte, daß Elsbeth großen Wert auf diese kleine Geste legte.
    Im Tanzsaal waren die Tische für das Souper in einem großen Rechteck aufgestellt und festlich gedeckt. Später, nach dem Souper und dem anschließenden Konzert, würden die Diener die Tische forträumen, und der kleine Saal konnte seiner eigentlichen Bestimmung übergeben werden. Jetzt hielten sich erst wenige der Gäste darin auf. Zwei Männer, beide in Röcken aus feinstem umbrafarbenem Wollstoff über reichbestickten cremefarbenen Seidenwesten, standen an einem der Fenster und sprachen leise miteinander. Ihre gepuderten Perücken berührten sich fast, und an der Hand des einen, die leicht auf dem Griff des Fensters lag, glänzte deutlich sichtbar ein alter Siegelring.
    Eines der Mädchen, wie die anderen im blau-weiß gestreiften, feinen Kattun mit gestärkter Schürze, allerdings mit erheblich ausladenderer Haube, stand an einem der Tische, rückte hier eine Gabel, dort

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