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Lorettas letzter Vorhang

Lorettas letzter Vorhang

Titel: Lorettas letzter Vorhang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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der Feder des großen William. Ich bin sicher, daß das, was Ihr gesehen habt, nichts mehr mit seinen Werken zu tun hatte. Es ist seit weit mehr als hundert Jahren Sitte – ach, was sage ich? Es ist seit mehr als hundert Jahren Un-Sitte, daß sich jeder Prinzipal aus Shakespeares Werken herausschneidet, was er zu brauchen glaubt, um sein Publikum zu locken, und daraus die übelsten Schauerdramen macht. Jeder stochert nach dem blutigsten Filetstück und macht daraus ein übelriechendesRagout. Ihr habt nicht Shakespeare gesehen, Madame, Ihr habt einen Brei aus Worten, Geschrei und Mordlust gesehen, der aus nichts als Diebstahl entstanden ist.»
    Das sei ein Verbrechen, nicht nur an der Kunst, das könne man wohl verschmerzen, aber vor allem an den Menschen, denen man so die Werke des größten Genies unter den Dichtern aller Zeiten vorenthalte.
    «Shakespeare, Madame, will studiert und nicht geplündert sein. Von keinem können wir besser lernen, was ein Dichter, ein Schauspieler, überhaupt ein Mensch über das Leben lernen muß.»
    Doch jetzt, seine grimmig gewordene Miene glättete sich, und seine Stimme wurde wieder etwas moderater, habe Wieland, ein schwäbischer Dichter und bedeutender Mann, etliche Dramen des großen Engländers übertragen. «Zwar sind seine Übersetzungen für meinen Geschmack zu sittsam geraten, er hat nach eigenem Gusto fleißig zensiert, aber nun werden sie auch die deutschen Länder erobern. Es gibt keinen Zweifel, daß damit eine neue Zeit auf dem Theater beginnt. Die Franzosen, Madame, haben große Dichter. Aber sie passen nicht so gut für das deutsche Gemüt. Das ist dem englischen näher. Vor allem aber läßt Shakespeare Menschen aller Stände auftreten. Und er vermischt das Komische und das Tragische, das Gute und das Böse, auch in einer Person. Das mag viele stören, aber ist nicht genau das, Madame, die natürliche Abbildung des menschlichen Lebens?»
    Nun mischte sich auch Madame König ein, die mit ihrem Gatten auf der gegenüberliegenden Seite des Tisches saß, und versprach Augusta, sie wolle ihr gerne den einen oder anderen Band dieser Übersetzungen ausleihen, wenn die Bestellung, die sie schon im Mai aufgegeben habe, nur endlich einträfe.
    Rosina bedauerte inzwischen, daß sie Annes Vorschlag, als entfernte Cousine aus Leipzig mit an der Tafel zu sitzen, hatte ablehnen müssen. Dazu gab es doch zu viele unter den Gästen, die sie wiedererkannt hätten. Sonnin hatte ihr vorhin im Rauchzimmer schon recht vertraulich zugezwinkert, aber der Baumeister würde sie nicht verraten. Er kannte ihre Scharaden, vertraute auf ihren Sinn und hatte außerdem selbst den allergrößten Spaß daran.
    Claes hatte ihr vor dem Souper die Kattunmanufakteure gezeigt, und um ihr Unternehmen, das er immer noch ziemlich absurd fand, leichter zu machen, waren sie an der Tafel nahe beieinander plaziert worden. Sie hatte sie zwar nicht wiedererkannt, aber letztlich war es ganz einfach, Männer ihrem Metier zuzuordnen. Die meisten sprachen über nichts anderes. Immer wenn es Rosina gelang, einen leeren Teller oder auch nur ein fast leeres Glas bei ihnen zu entdecken und abzuräumen, hörte sie sie von nichts anderem als Preisen, der Konkurrenz des schlesischen und sächsischen Leinens, von dem ewigen Ärger mit den Zugochsen oder dem rapide nachlassenden Gehorsam unter den Arbeitern.
    Auch über Schwarzbachs Ärger mit seinen Nachbarn flußabwärts wurde debattiert. Die hatten sich beim Rat beschwert, seine Druckerei verschmutze das Alsterwasser so stark, daß sie daraus nicht mehr schöpfen könnten. Er solle seine Manufaktur vor die Tore an die Bille oder an die Wandse verlegen. Diesmal war man gleich einig, daß der Rat selbstverständlich zugunsten Schwarzbachs entscheiden müsse, weil die Kattundruckerei nun mal eines der wichtigsten und lukrativsten Gewerbe der Stadt sei. Punktum, sagte Schwarzbach und nickte zufrieden. Sollten die anderen doch Wasser aus Brunnen kaufen. Davon gab es schließlich immer mehr. Oder mit
ihrem
Gewerbevor die Wälle ziehen. In der Stadt sei es sowieso längst zu eng, fuhr er fort und ließ sich von Rosina Zwiebeln in Madeira und schneeweißen Blumenkohl neben das mächtige Stück Ochsenfilet – der dritte Gang wurde nun serviert – auf seinen Teller legen, wobei er begehrlich nach der Platte voller Lammfleisch mit Trüffeln blickte, die einer der Diener gerade zum anderen Ende des Tisches trug. Wer nun noch Platz und reines Wasser brauche, sagte er und schnitt in

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