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Lorettas letzter Vorhang

Lorettas letzter Vorhang

Titel: Lorettas letzter Vorhang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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das saftige Fleisch, müsse eben sehen, woher er das eine wie das andere bekomme. Wer zuerst kommt, mahlt zuerst.
    Von dem verschwundenen Musterbuch und von Lukas Blank, ein Thema, das doch alle Kattunmanufakteure erhitzen müßte, kein Wort.
    Rosina fühlte sich plötzlich sehr müde. Ihre Arme und Füße schmerzten von der ungewohnten Arbeit, und die Hoffnung, irgend etwas zu hören, das ihr weiterhalf und die Spuren deutlicher machte, war nun verflogen.
    Endlich wurde das Dessert serviert. Ein wenig hastig, fand Bocholt, der nach dem Ochsen gerne auch noch von dem Lamm probiert hätte. Aber so war das eben, wenn man neue Moden einführte und sich für einen Abend zuviel vornahm. Denn die Sache mit dem Konzert tue doch gar nicht not, erklärte er seiner Gattin, alle amüsierten sich auch so ganz prächtig. Madame Bocholt, eine zarte, graumelierte Dame mit traurigen Augen, hatte im tannengrünen, nur sehr sparsam mit Tonderner Klöppelspitze besetzten Seidenkleid während des ganzen Essens stumm neben ihm gesessen. Nun lächelte sie ergeben, nicht weil sie tatsächlich seiner Meinung war, sondern weil sie sich ganz außerordentlich auf die Musik freute. Dann entschied sie sich für die Teecreme mit Vanille und Rumrosinen. Weingelee bekam sie zu Hause alle Tage,schließlich war es das Lieblingsdessert ihres sparsamen Gatten. Rosina trug eine große Schüssel Kürbis in Ingwersirup zu den Gästen, der vor allem in dem Kreis um Madame van Witten großen Zuspruch fand. Hier wurden nicht, wie Rosina erwartet hatte, die neuesten Familiennachrichten ausgetauscht. Vielmehr sprach man gerade über geheimnisvolle versunkene oder auch nicht versunkene Inseln. Aus der Konversation entwickelte sich ein Disput. Mademoiselle Stollberg schlug sich tapfer gegen Christian Herrmanns und dessen holländischen Freund Pieter Waarden, die links und rechts von ihr saßen und die Sache mit den mysteriösen Reichen im Meer für pure Erfindung hielten.
    «Atlantis hinter den Kanarischen Inseln?» rief Waarden ungeachtet der Griechischlektionen während seiner Schulzeit und starrte in sein Weinglas wie in einen magischen Teich. «Ich sehe hier etwas ganz anderes. Atlantis», er nahm einen großen Schluck Burgunder, «ist dänisch. Ich sage: Atlantis ist – Helgoland!» Alle außer Mademoiselle Stollberg lachten herzlich und hielten dies für einen wirklich amüsanten Scherz.
    Schließlich wurden die Gäste in die hinteren Räume gebeten. Alle folgten willig den Dienern, die nach den Weinkaraffen griffen und sie voraustrugen, damit der Saal für das Konzert geräumt werden konnte.
    Madame van Witten ließ sich neben Augusta in einen Sessel im vorderen Salon fallen und ein Glas Rheinwein einschenken. «Nur ein winziges Tröpfchen, meine Liebe.» Sie lehnte sich seufzend zurück. Nicht weil sie zuviel gegessen hatte – der Kürbis wäre wirklich nicht mehr nötig gewesen, aber was war ein gutes Souper ohne Dessert?   –, sondern weil sie sich über ihren Senator ärgerte. Gerade hatte sie Claes zum drittenmal gefragt, wie spät essei, und sich noch einmal für sein langes Ausbleiben entschuldigt. Von seinem Pflichtbewußtsein, vertraute sie nun Augusta an, werde ihn noch der Schlag treffen.
     
    Der Weddesenator van Witten saß zu dieser Zeit in seiner Amtsstube im Rathaus und blätterte in dem Bericht, den Wagner über die Verhöre von Lukas Blank geschrieben hatte. Wagner, fand van Witten, war ein braver Mann. Wirklich ein tüchtiger Weddemeister, aber manchmal war es eben doch nötig, daß er selbst, der Weddesenator, in eine Untersuchung eingriff. Diese Sache mit dem jungen Blank gefiel ihm nicht, überhaupt nicht. Er hatte seinen Vater gekannt, nicht sehr gut, aber doch genügend für den einen oder anderen Austausch in der Börsenhalle oder im Kaffeehaus. Der alte Blank war ein anständiger Mann gewesen, auch ein guter Geschäftsmann, bis er in die falschen Schiffe investiert und beim Versuch, seine Verluste wieder wettzumachen, auch noch den falschen Ratgebern vertraut hatte. Viele waren bankrott gegangen in den letzten Jahren, Blank als einer der ersten. Er hatte seinen Besitz für ein Butterbrot hergeben müssen, als andere noch satte Gewinne machten, und die Summe hatte gerade die Außenstände gedeckt. Für Freda und Lukas war nur wenig übriggeblieben. Daß Blank dann gleich am Schlagfluß sterben mußte, war natürlich Pech. Andererseits: Wer lebte schon gerne als Bankrotteur weiter?
    Van Witten warf einen schnellen Blick zu der

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