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Lorettas letzter Vorhang

Lorettas letzter Vorhang

Titel: Lorettas letzter Vorhang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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einen Löffel zurecht, griff behutsam ordnend in die Sträuße aus Herbstlaub und Sternblumen und schien es im Gegensatz zu den anderen Mädchen nicht eilig zu haben. Sie hielt sich ganz offensichtlich damit auf, die Schönheit des Saales zu bewundern. Während unten in der Diele die Decke mit ihren schweren Querbalken noch dunkel bemalt war, herrschten in den neu ausgestatteten Räumen lichte Farben. An der schneeweißen Decke des Tanzsaales war dem Stukkator ein wahres Kunstwerk aus zarten Blüten und weitbögigen Ranken gelungen. Eleganter hatte sie es auch nicht in dem Leipziger Großbürgerhaus gesehen, an das sie sich aus längst vergangener Zeit und nur ungern erinnerte. Jemand räusperte sich, und das Mädchen griff geschäftigwieder zu den ohnedies akkurat wie Zinnsoldaten ausgerichteten Löffeln und Gabeln und verließ dann eilig knicksend den Raum.
    «Die Domestiken heutzutage», sagte Bocholt, der mit Baumeister Sonnin in den Saal getreten war und das Mädchen mit seinem Räuspern aus dem skandalösen Nichtstun geschreckt hatte, mit kaum gedämpfter Stimme, «brauchen doch ständig Aufsicht. Mir schien, daß sie nicht nur nichts tat, sondern auch noch unseren französischen Gesandten und seinen Freund dort drüben belauscht hat! Nun gut, das ist wohl Herrmanns’ Sache.» Dann sah er sich um, spitzte den Mund und sagte, er finde Herrmanns’ neuen Saal, im Vertrauen gesagt, ein bißchen schlicht. So viel freier Platz zwischen den Ranken am Plafond. Die eine oder andere Putte, auch ein Vogel oder ein wenig Obst würden doch mehr hermachen.
    Sonnin schwieg dazu geduldig, legte den Kopf in den Nacken und sagte: «Aber der Kronleuchter, lieber Bocholt, wird Euch doch zusagen.»
    Bocholt legte auch den Kopf in den Nacken, betrachtete mit zusammengekniffenen Augen das dreistöckige, glitzernde Gebilde aus Silber, Kristall und Kerzen in der Mitte der Decke des langgestreckten, hohen Raumes, wich einem herunterfallenden Wachstropfen aus und sagte: «Nun ja. Wirklich hübsch. Ein bißchen zu italienisch vielleicht. Aber hübsch.» Er schlug vor nachzusehen, ob im Spielzimmer womöglich auch ein Billardtisch Platz gefunden habe, Herrmanns neige ja neuerdings zu solchem Luxus.
    Einen Billardtisch gab es nicht, aber dafür drei andere Tische, um die genug Stühle für kleine und größere Runden standen. Sonnin, der gerne spielte und selten gewann, freute sich auf ein Spiel L’hombre mit Lessing, von demes hieß, daß er auch nicht ständig gewann. Sonnin spielte nur mit kleinen Einsätzen und nahm das Spiel nie ernst genug, um sich zu ärgern, wenn er wieder einmal verlor. Aber vielleicht war es doch angenehmer, mit einem zu spielen, der wie er nicht gerade zu Fortunas Lieblingssöhnen gehörte.
    Das Spielzimmer endlich gefiel Bocholt ausnehmend gut. Der Kronleuchter unterschied sich zwar kaum, tatsächlich nur in der geringeren Größe von dem im Tanzsaal, aber die Wände des fast quadratischen Raumes waren mit Leinen bespannt, worauf heitere Landschaften gemalt waren. Daß auf der einen auch ein Reiter mit einem schwer bepackten Pferd und auf der anderen vornehme Damen und Herren in einem noch ziemlich vertraut auf französische Art angelegten Garten zu sehen waren, entsprach endlich seinen Vorstellungen von honorigem Raumschmuck.
    «Sehr schön», sagte er, vertraulich Sonnin zugebeugt, «wirklich sehr schön, wenn auch   …»
    «Jetzt hört aber auf, Bocholt. Ihr seid ein alter Nörgler. Wie hält Eure Gattin Euch bloß aus?»
    Bocholt, der fand, daß aus dieser Frage eine völlige Verkennung der tatsächlichen Verhältnisse sprach, machte die Lippen schmal und beschloß, Sonnin auch diesmal nicht böse zu sein. Der hatte ein loses Mundwerk, aber als Baumeister war er ja schon fast ein Künstler. Und als Mechanikus, Produzent seltsamer mechanischer Geräte, die kein vernünftiger Mensch wirklich brauchte, mußte er wohl auch ein wenig seltsam sein.
    Sonnin klopfte ihm versöhnlich auf die Schulter und schlug vor, im Rauchzimmer nachzusehen, ob dort schon ein Fläschchen Port bereitstehe. Damit war Bocholt gleich einverstanden, doch plötzlich stutzte er. Die Räume warenvoller Menschen, Diener mit modisch knappen Perücken und in dunkelblauen Röcken trugen Tabletts mit Gläsern, zwei Mädchen im blauweiß gestreiften Kattun mit gestärkter Schürze und Haube sorgten wie stille Geister dafür, daß nirgends ein schmutziges Glas stand, kein Taschentuch, kein Fächer vergessen liegen blieb. Auf dem kleinen

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