Lorettas letzter Vorhang
nur, Jakobsen, es ist schon gut.» Rosina sah in das ärgerlich gerötete Gesicht des Wirtes, dachte an Titus, der auch immer gleich herumbrüllte, und fühlte sich gestärkt und gut aufgehoben. Sie hatte gewußt, daß im
Bremer Schlüssel
eine neugierige Meute auf sie wartete. Und sie hatte beschlossen, das zu nutzen, indem sie mehr zuhörte als redete. Das meiste, das die Männer mit dem Branntweinatem zu erzählen hatten, war zwar stets ein buntes Gemisch aus Aufschneiderei und wuchernder Phantasie, aber was auf den Straßen und in den Werkstätten erzählt und ins Wirtshaus getragen wurde, barg oft auch die kleinen Bröckchen Wahrheit, die ein Weddemeister nie erfuhr.
«Ich kann euch nichts erzählen, was in der Stadt nicht schon von den Dächern gepfiffen wird», sagte sie zu den Männern. Was dazu führte, daß den meisten schlagartig einfiel, daß der Metzger ein Wichtigtuer sei und zu Hause Frau, Kinder und die Abendsuppe warteten. So war plötzlichviel Platz auf den Bänken, und Rosina setzte sich neben Vandenfelde, versicherte, daß man noch nicht wisse, wer es getan habe, aber sie sei ja nur im Theater gewesen, und was man denn auf den Straßen erzähle?
Eine halbe Stunde später, nach einer Portion von Ruths Frikassee, saß Rosina immer noch am Tisch nahe dem Kachelofen, der den Stammgästen vorbehalten war. Das meiste, das die fünf Männer erzählt hatten, die in der Hoffnung auf ein kleines Stück vom Skandal doch noch geblieben waren, war tatsächlich nichts als die übliche Spökenkiekerei. Außer den einander heftig widersprechenden Ratschlägen eines Lohgerbergesellen, eines Seilers und eines Buchdruckergehilfen, wie ein Theater am besten zu führen sei, wenn man tüchtig Gewinn machen wolle, hatte sie nur wenig erfahren. Zum Beispiel, daß man Padberg, einen kürzlich entlassenen Gehilfen des Theatermaschinenmeisters, neulich im
Schwarzen Adler
gesehen habe, was doch ein viel zu feines Gasthaus für einen wie ihn sei, ganz besonders, da er gerade mal wieder seine Arbeit verloren habe. Daß er da mit Monsieur Seyler gesessen habe, wurde von dem Lohgerbergesellen allerdings energisch bestritten. Der habe Seyler nur ähnlich gesehen, sei aber tatsächlich Prediger in St. Katharinen, was alle zum Brüllen komisch fanden.
«Ich weiß ja nicht», sagte schließlich der fünfte der Männer, ein Kattundrucker, der bisher nur schweigend zugehört hatte und von niemandem mit Namen angeredet wurde. «Ich will auch keinem was Böses nachsagen, aber ich glaube nicht, daß es einer vom Theater war.»
Alle sahen ihn erwartungsvoll an. Wer so lange geschwiegen hatte, mußte entweder etwas Überflüssiges oder etwas Unerhörtes zu bieten haben.
«Ich glaube», sagte er und sah Rosina an, als habe er geradefünf Sechsen gewürfelt, «es ist eine Liebesangelegenheit.»
Vandenfelde hieb fröhlich auf den Tisch und brüllte: «Genau was ich immer sage! Liebschaften sind gefährlich und kommen viel zu teuer.»
Die anderen drei nickten, zufrieden, daß es endlich einer ausgesprochen hatte, wo man doch dieser Komödiantin, die von Jakobsen behandelt wurde wie ein rohes Ei, nicht mit etwas so Vertraulichem, um nicht zu sagen Unschicklichem, hatte zu nahe treten wollen. Und Rosina seufzte. Zum einen, weil alle immer dachten, daß Komödiantinnen mehr und gefährlichere Liebeshändel hatten als andere Frauen, zum anderen, weil sie selbst auch diesen Verdacht hatte und trotzdem – irgendwie – nicht daran glauben konnte.
Bei den Kattundruckern, fuhr der Mann fort, wisse jeder, daß der junge Blank was mit dem Fräulein gehabt habe, auch wenn der glaube, das wisse keiner. Aber dazu hätte er viel zu oft damit angegeben, daß es eine am Theater gebe, eine Dame, habe er gesagt, die alles für ihn tue. Und überhaupt habe sich der Blank schon immer für was Besseres gehalten, dabei sei es nur seiner Schwester zu verdanken, daß er bei Schwarzbach nicht längst einen Tritt bekommen habe. Die sei die beste Musterzeichnerin, die Schwarzbach je gehabt habe, ach was, die beste in der ganzen Stadt. Nein, einen Namen habe Blank nicht genannt, wozu auch? Man habe sie zusammen gesehen, zuletzt auf der Bastion Vincent, da wo die Laternenträger auf Kundschaft warteten. Es sei nämlich schon ziemlich auf den Abend zu gegangen, sie hätten sehr, nun, er wolle mal sagen, privatim ausgesehen, und man wisse ja, was so ein Pärchen im Kopf habe.
Bevor Rosina auch nur Luft holen konnte, um nun docheinmal laut und deutlich zu sagen,
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